Pater Samir, können Sie schon eine Zwischenbilanz von der Präsidentschaft Al-Sisis ziehen?
Die jetzige Präsidentschaft sehe ich als einen positiven Faktor für mein Land an. Das bedeutet nicht, dass alles perfekt ist, doch Al-Sisi ist sicherlich Christen gegenüber aufgeschlossener als alle anderen Präsidenten vor ihm. Wir haben jetzt zwar ein Militärregime, doch es ist keine tyrannische Herrschaft. Ich lebe lieber unter einem Militär als unter einem Despoten.
Was hat er für Christen konkret getan?
Besonders in letzter Zeit hat er starke Zeichen gesetzt. Dafür gibt es mehrere Beispiele.
Als sich im vergangenen Jahr wieder einmal die Angriffe gegen Kopten und ihre Kirchen häuften, hat Tawadros II., der koptisch-orthodoxe Patriarch, dem ägyptischen Präsidenten seine Sorge darüber geäußert.
Das lange Gespräch hatte zur Folge, dass Al-Sisi umgehend seine Soldaten an den Gefahrenstellen zum Schutz der Kopten stationieren ließ. Als Solidaritätsbekundung hat er außerdem heuer mit dem Patriarchen am ostkirchlichen Weihnachtsfest (am 6. Jänner, Anm.) teilgenommen. Dieser Besuch stellt ein absolutes Novum in der Geschichte der Kopten dar. Einzigartig war auch der Ort der Begegnung: Die Feier fand in der noch nicht fertig gebauten Kathedrale in der gerade entstehenden Metropole „Neu-Kairo“ statt (45 km südöstlich von der ägyptischen Hauptstadt, in der demnächst 5 Millionen Menschen leben werden, Anm.). Auf Initiative Al-Sisis soll dieser Dom die größte Kirche im Nahen Osten werden.
Unweit davon ließ er ebenfalls eine große Moschee errichten. Ein starkes Signal, um zu zeigen, dass alle Bürger des Landes – Christen inklusive – zu Ägypten gehören und ein Volk sind. Darüber hinaus ließ er in den letzten Monaten rund 10 koptische Kirchen, die von IS-Terroristen attackiert und in Brand gesetzt wurden, renovieren. Alles konkrete Taten, die den Kopten Hoffnung auf eine stabilere Zukunft geben.
Wurden diese Gesten von den Medien kommentiert?
Durchweg wohlwollend. Die großen Zeitungen Ägyptens haben die Begegnungen Al-Sisis mit dem koptischen Kirchenführer begrüßt. Das Fernsehen hat Ausschnitte aus der Weihnachtsmette ebenso übertragen wie auch die Weihe der neuen Kathedrale.
Sehr aussagekräftig war auch die symbolische Geste von Papst Franziskus, als er während seiner Ägyptenreise vor einem Jahr den Großimam und geistlichen Leiter der Al-Azhar-Universität Ahmed al-Tayyeb umarmt hatte.
Das sind positive Signale. Wäre nicht die Zeit für Al-Sisi reif, sich für die gleichen Bürgerrechte von Christen und Muslimen einzusetzen, wenn er mit den erwähnten Gesten schon signalisiert, dass sie gemeinsam das ägyptische Volk bilden?
Die Zeit ist leider noch nicht reif dafür. Denn dann würde man am Art. 2 der ägyptischen Verfassung rütteln, die die islamische Scharia als Grundlage hat.
Das würde bedeuten, dass Al-Sisi die Scharìa in Frage stellt, die keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau zulässt – geschweige denn jene der Christen gegenüber den Muslimen. Noch ist der fundamentalistische Gegendruck stark im Land, mit dem Al-Sisi zu kämpfen hat.
Bereits vor Jahren habe ich mich, gemeinsam mit mehreren Bischöfen des Landes, im Parlament für die Gleichstellung der Christen als paritätische Staatsbürger eingesetzt. Vergeblich!
Die Scharìa sagt klipp und klar, dass wir Christen als Nicht-Muslime nicht die gleichen Rechte haben. Wir können zwar Seite an Seite mit Muslimen leben, doch nur dann, wenn wir eine Steuer (die „Dschizya“, Anm.) zahlen, die uns Christen demütigen soll.
Das Wort „Demütigung“ wird in diesem Zusammenhang im Koran sogar wörtlich erwähnt… Wenn ein Imam das Gegenteil behauptet, dann ist er entweder ein Lügner oder der arabischen Sprache nicht mächtig.
Stimmt es, dass Präsident al-Sisi in seinem Land die Gleichstellung von Mann und Frau erreichen wollte?
Ja. Er hat sich an den Großimam al-Tayyeb um eine Gesetzesänderung in der Verfassung gewandt. Dieser Reformvorschlag war aber für letzteren zu heikel, denn das hätte gleichzeitig auch Tür und Tor für eine künftige Gleichberechtigung zwischen Christen und Muslimen öffnen können.
Gehört Al-Tayyeb zu den Hardlinern?
Er ist an sich ein aufgeschlossener Mensch und wäre vermutlich bereit, eine Öffnung den Christen gegenüber einzuleiten. Vor allem nach dem Besuch des Papstes. Noch fehlt ihm aber der Mut, sich der Mehrheit der an der Al-Azhar tätigen intoleranten Imame zu widersetzen. Andererseits weiß ich aber auch aus einer sicheren Quelle, dass bereits einige der Hardliner unter ihnen nicht mehr an seiner Universität lehren dürfen.
Erleben wir in nächster Zeit vielleicht eine Reform der kleinen Schritte?
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Inzwischen gibt es immer mehr Muslime, die insgeheim mit der starr-dogmatischen Auslegung des Koran keineswegs mehr einverstanden sind. Doch noch hat diese kritische Minderheit kein ausreichendes Gewicht gegenüber den mehr als anderthalb Milliarden Muslimen auf der Welt.
Doch eine Minderheit kann auch einen gewissen Einfluss ausüben. Ich denke an die wöchentliche korankritische Sendung „Gewagte Fragen“ des zum Christentum konvertierten Bruders Rachid.
Ja, in der Tat! Seine weit mehr als 500 aufgezeichneten Debatten haben bereits eine Welle von mehr als 150.000 Konversionen in seinem Heimatland Marokko ausgelöst. Ein weiterer ägyptischer Gelehrter, Hamed Abdel-Samad, der aus seiner Heimat fliehen musste und jetzt in Deutschland unter Polizeischutz lebt, hat inzwischen 50 kritische Sendungen zu Islamdogmen gestaltet. Es bewegt sich also einiges – doch es wird noch ein langer, steiniger Weg sein.
Den vielen muslimischen Flüchtlingen in Europa fällt es nicht leicht, sich in unser säkulares, demokratisches System zu integrieren.
Das ist ein wesentlicher Punkt, den Sie hier ansprechen. Der Islam ist keine primär spirituelle Religion, wie der christliche Glaube in der westlichen Welt. Der Islam ist ein totalitäres, globales Projekt, das alle Bereiche miteinschließt: Religion, Politik, Militär, Wirtschaft sowie das gesamte gesellschaftliche Gefüge. Das prägt die Muslime von Geburt an („Islam“ = Unterwerfung; „Muslim“ = der Unterworfene). Wenn sie also als Flüchtlinge in ein europäisches Gastland kommen und dort bleiben wollen, sollte man ihnen als erstes die Frage stellen, ob sie ernsthaft bereit sind, sich voll und ganz zu integrieren. Das wäre die Conditio sine qua non.
Wenn sie dies bejahen, sollte man ihnen klarmachen, dass sie ein Stück ihrer Vergangenheit hinter sich lassen müssen und sich im Gastland mittels Sprach- und Integrationskursen über dessen Werte, Regeln, Sitten und Gebräuche zu informieren und sich im Alltag danach zu richten haben.
Was bedeutet das im Klartext?
Das heisst, dass man ihnen in der neuen Heimat ganz klar sagt: Die Muslime müssen sich den neuen Begebenheiten anpassen und nicht umgekehrt das Gastland an sie. Will sich ein Flüchtling partout nicht integrieren und unser Rechtssystem (etwa Frauenrechte, Religionsfreiheit) nicht akzeptieren, soll er unverzüglich heimgeschickt werden. Die westlichen Regierungen müssen diesen Punkt um ihrer Bürger willen sehr ernst nehmen, sonst ist die Gefahr einer fortschreitenden Islamisierung Europas groß.
Mit ihrer falsch verstandenen Toleranz haben einige europäische Länder viel zu viele Flüchtlinge aufgenommen, die sich nicht integrieren wollen. Jeder Staat sollte an seine neuen Mitbürger hohe Ansprüche stellen, so wie es Eltern mit ihren eigenen Kindern tun. Das wäre das größte Zeichen von Wertschätzung ihnen gegenüber und die einzige Möglichkeit eines friedlichen Miteinanders für kommende Generationen.
Das Interview führte Pia de Simony
Zur Person:
Der Jesuitenpater Samir Khalil Samir ist ägyptischer Islamwissenschaftler und katholischer Theologe. Er ist Islamberater des Vatikan und lehrt am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom sowie an der St. Joseph Universität in Beirut, wo er das Forschungs- und Dokumentationszentrum CEDRAC gründete. Im libanesischen Maqasid-Institut unterrichtet er künftige Imame über das Christentum. (poi)