BERICHT von der Internationalen Tagung in Wien*  mit rund 120 Teilnehmern aus 20 Ländern

Pia de Simony

Einige Tagungsteilnehmer mit Zeichnungen syrischer Kinder aus dem Kriegsgebiet

Einige Tagungsteilnehmer mit Zeichnungen
syrischer Kinder aus dem Kriegsgebiet

Religion – ein bedeutsamer weltpolitischer Faktor
„Über 100.000 Christen werden jedes Jahr aufgrund ihres Glaubens getötet.“ Das betonte der  EU-Sonderbeauftragte für Religionsfreiheit Ján Figel. Laut Figel muss weltweit viel mehr gegen religiös motivierte Verfolgung getan werden. „Wer Religion und den Missbrauch von Religion nicht versteht, kann nicht verstehen, was derzeit in der Welt geschieht.“ Religion sei ein bedeutsamer weltpolitischer Faktor. 84 % aller Menschen gehörten einer Religionsgemeinschaft an, 74% lebten aber in Ländern, in denen religiöse Freiheit mehr oder weniger massiv unterdrückt wird.

Zusammenprall der Kulturen verhindern
Sehr besorgt über die wachsende Christenverfolgung und die Verletzung der Religionsfreiheit in weiten Teilen der Welt äußerten sich am 26. November 2016 hochrangige Experten wie der slowakische Politiker Figel im Erzbischöflichen Palais in Wien. Wichtig sei aber bei diesem heiklen Thema, so Figel vorab, zwischen Islam und Terrorismus zu unterscheiden, um letztlich einen „Zusammenprall der Kulturen“ zu verhindern. „All dieser Hass und dieses Blutvergießen sind ein Missbrauch der Religion“, erklärte der EU-Sonderbeauftragte. Das Unvermögen, Fanatismus von der Religion zu unterschieden, könnte im schlimmsten Falle sogar einen dritten Weltkrieg auslösen.

Den wehrlosen Opfern eine Stimme geben
Ähnlicher Meinung ist auch der Schwede Lars Adaktusson, Mitglied des Europaparlaments: „Trotz einer eindeutigen Verbindung zwischen dem sog. ‚Islamischen Staat‘ und dem Islam, sollten wir sehr sorgfältig sein und nicht die einzelnen Muslime für Terrorangriffe verantwortlich machen.“ Mit dem islamischen Fundamentalismus geht er hart ins Gericht. Er ist für eine Resolution im Europaparlament verantwortlich, die seit Ende Jänner offiziell die schweren Verbrechen des „IS“ in Syrien und im Irak als Völkermord anprangert. (Demnach sind diese Gräueltaten, nach internationalem Recht, strafbar.) Andere Parlamente – etwa in England, Australien und in den USA – sind diesem Beispiel gefolgt. Um weitere Genozide in der Welt zu vermeiden – darin sind sich Adaktusson und Figel einig – sollten wir Verfolgungen rechtzeitig erkennen und laut beim Namen nennen. Den wehrlosen Opfern eine Stimme geben und die kriminellen Täter zur Verantwortung ziehen. Viele der vor zwei Jahren vom IS aus ihren nordirakischen Dörfern brutal vertriebenen Christen hoffen nun auf Gerechtigkeit für das ihnen Angetane und auf eine baldige Rückkehr in ihre alte Heimat, berichtet der schwedische Europaparlamentarier. Erst ein paar Wochen vor der Tagung hatte er die vom „IS“ zerstörten Orte und Kirchen besucht und von Betroffenen über ihr schreckliches Schicksal erfahren.

Mordende Fulani-Viehnomaden in Nigeria  
Auch die Gräueltaten der nordnigerianischen islamischen Terrormiliz Boko Haram wurden inzwischen vom Internationalen Strafgerichtshof als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anerkannt. „Das ist dringend notwendig gewesen“, hob Ewelina Ochab, Referentin von ADF International hervor – „doch das reicht nicht. Auch die Fulani-Viehnomaden im Land sollten unbedingt miteinbezogen werden, sonst können sie weiterhin ungestraft mit ihren Bluttaten gegen christliche Bauern im Zentrum Nigerias fortfahren“ (Anm.: CSI unterstützt den Wiederaufbau eines von Fulanis zerstörten Dorfes).

Dazu gezwungen, an Hinrichtungen teilzunehmen
An der unrühmlichen Spitze des Weltindexes für verfolgte Christen befindet sich kein muslimisches Land, sondern Nordkorea. Aus dem Mund eines einheimischen Flüchtlings, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, erfuhren die Tagungsteilnehmer Erschütterndes: Er verlor in jungen Jahren beide Eltern und wurde schon als Kind gezwungen, an Hinrichtungen „Andersdenkender“ teilzunehmen, erlebte selbst Folter im Gefängnis und gewaltsamen Tod von Freunden. „Wir wuchsen alle ohne Identität auf, durften nichts kritisch hinterfragen“ – erklärte der junge Mann – „so dachten wir auch, dass z.B. Christen böse Menschen seien, die andere Leute umbringen. Das war die Gehirnwäsche, der wir uns unterziehen mussten.“ Seit seiner abenteuerlichen Flucht vor einigen Jahren ist er aus eigener Überzeugung Christ geworden und glücklich, heute im freien Europa zu leben.

Pflicht Europas, seine christlichen Werte zu bewahren
Tamás Török, Unterstaatssekretär für das neu geschaffene Amt für Verfolgte Christen in der ungarischen Regierung , sagte, die Europäischen Nationen hätten eine „edle Verpflichtung“ ihre christlichen Werte für zukünftige Generationen zu bewahren. Er hoffe, dass diesbezüglich „Ungarn eine wichtige Rolle spielen wird“. Priorität hätte für sein Land die Hilfe für Christen vor Ort im Nahen Osten, aber auch jene nach Ungarn geflohenen Flüchtlinge mit Stipendien zu unterstützen, damit sie anschließend in ihre Heimat zurückkehren und sich am Wiederaufbau ihrer jeweiligen Dörfer beteiligen können. Der syrische Priester Hanna Ghoneim fand anerkennende Worte für Töröks Projekt: „Das ist lebenswichtig für den Verbleib der Christen in meinem leidgeprüften Land.“

Christianophobie in Europa
Laut dem Wiener Weihbischof Stephan Turnovszky war die Lage von Christen weltweit noch nie so bedenklich wie heute. Auch in Europa habe sich einiges verändert, sagte Turnovszky. Es gebe zwar keine echte Verfolgung, aber erschreckende Trends von „Marginalisierung und politisch-medialer Repressalien“ sowie Drohungen gegen Organisationen, die in der Öffentlichkeit für das umfassende Lebensrecht und die Menschenwürde eintreten: „Gewalttätige Gegendemonstrationen bei Pro Life-Veranstaltungen sind in vielen Ländern ,normal’ und werden medial kaum kritisiert.“ Er habe den Eindruck, dass das Konzept der Religionsfreiheit zusehends in sinnentstellender Weise umgedeutet werde: „Was ursprünglich als Freiheit für die Religionsausübung eine große Errungenschaft für das Leben entsprechend der Gewissensüberzeugung darstellte, wird mehr und mehr zur Freiheit von Religion im Sinn von Zwang zur Religionslosigkeit zumindest im öffentlichen Raum verdreht.“ Dass Europa zunehmend aufhöre, Menschen aufgrund ihrer religiösen Überzeugung zu schützen, treffe christliche Asylsuchende besonders hart: „Nachdem sie ihr Leben aufs Spiel setzten um nach Europa zu gelangen, schlägt ihnen hier in Asylheimen oft erneut Gewalt, Bedrohung und Diskriminierung aufgrund ihres christlichen Glaubens entgegen, der von den staatlichen Autoritäten gerne übersehen wird.“

Übergriffe gegen Christen nicht länger verschweigen
Die Referentin für Religionsfreiheit der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM, Frankfurt am Main), Michaela Koller, rief die Tagungsteilnehmer dazu auf, in ihren Heimatländern ein viel stärkeres Bewusstsein für das Thema Christenverfolgung zu wecken und sich nicht vor feindseligen Reaktionen zu fürchten. In Deutschland hätten beispielsweise mehrere Menschenrechtsorganisationen Kritik einstecken müssen, nachdem sie öffentlich auf die schwierige Situation von Christen in Flüchtlingsheimen hingewiesen hatten. Viele Menschen regten sich laut Koller danach nicht über die Attacken durch Muslime auf Christen und andere religiöse Minderheiten auf, sondern über die Veröffentlichung der Vorfälle. Selbst ein katholischer Bischof und der EKD-Vorsitzende haben ihnen vorgeworfen, eine anti-islamische Stimmung in Deutschland zu fördern. Niemand sollte sich durch solche Rückmeldungen davon abhalten lassen, die Fakten zu veröffentlichen, betonte Koller.

Auch José-Luis Bazán, Justitiar des Zusammenschlusses der katholischen Bischofskonferenzen in der EU, verwies auf ernsthafte Bedrohungen, denen christliche Flüchtlinge in Aufnahmezentren in Europa immer wieder ausgesetzt seien. Um diesen Menschen zu helfen, griff Paulus Kurt, Leiter des Arbeitskreises Flüchtlinge des ZOCD (=Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland) im Sommer 2015 zur Selbsthilfe und richtete für bedrohte Christen eine Hotline ein. Inzwischen hat er – mit Hilfe von Hunderten von ehrenamtlichen Mitarbeitern – über 500 Fälle konkreter Übergriffe sorgfältig dokumentiert. „Das ist das erste Pilotprojekt in Deutschland“ – so Kurt – „damit wollen wir andere Länder auch ermutigen, dringend ähnliche Fälle zu erfassen.“ Es gibt auch „subtile Formen“ von Christenverfolgung in Europa, die leicht bis zum „sozialen Tod“ führen können, analysiert abschließend die Wiener Landtagsabgeordnete Gudrun Kugler, eine der Initiatoren der Tagung. Wehret den Anfängen.
(Quellen: AKREF/KAP/FAZ/CSI)

* Die Konferenz wurde von der Wiener „Beobachtungsstelle für Intoleranz und Diskriminierung gegen Christen in Europa“ organisiert. CSI-Österreich war als eine der Partnerorganisationen vor Ort.