Alarmruf der christlichen Bischöfe im Irak: „Die Gotteskämpfer wollen einen islamischen Staat gründen, um die Welt zu islamisieren. Das ist eine Gefahr auch für Europa!“

Hintergrundbericht von Pia de Simony

Die „IS“ erobert mit Gewalt die Millionenstadt Mossul Die „IS“ erobert mit Gewalt die Millionenstadt Mossul

Die „IS“ erobert mit Gewalt die Millionenstadt Mossul © KNA/Reuters

Die unerwartete, brutale Invasion der Terror-Organisation „IS“ (Islamischer Staat, vormals ISIS genannt), hat im Irak im vergangenen Juni, laut der UN0, mehr als 2.400 Menschenleben gefordert – darunter mindestens 1.531 Zivilisten. Die IS spricht allein von 1.700 Schiiten, die sie in Mossul, der zweitgrößten Stadt Iraks, im Juni exekutiert haben sollen. Aus dieser Stadt (einst christlichen Hochburg, Anm.) sind die letzten dort noch ausharrenden Christen Hals über Kopf geflohen – alle Richtung Norden. Mit ihnen haben auch schätzungsweise 450.000 Muslime versucht, sich vor den gefürchteten, schwarz  vermummten Gotteskriegern in Sicherheit zu bringen. Viele Vertriebene wurden nun in Kirchen und Klöstern in den von Kurden kontrollierten Gebieten aufgenommen.

IS zu den Christen: Entweder zum Islam konvertieren oder Schutzsteuer zahlen
Die Terrorgruppe IS hat es in erster Linie auf Schiiten abgesehen, doch sie haben auch Christen, Jesiden und liberale Muslime als „Ungläubige“ im Visier. Die IS entführt Pfarrer sowie Nonnen und stellt Christen vor die Wahl, entweder zum Islam überzutreten oder eine sog. Schutzsteuer von 200 Dollar (ca. 150 €) pro Kopf zu entrichten. Die Alternative dazu sei „das Schwert“. In Mossul haben – erstmals nach 1.600 Jahren – keine Sonntagsmessen mehr stattgefunden. In zwei Kirchen haben IS-Truppen binnen 10 Minuten Kreuz und Altar entfernt. Und im chaldäischen erzbischöflichen Palais haben sie bereits ihre Zelte aufgeschlagen.

IS-Truppen versetzten die Bewohner der christlichen Hochburg Karakosh in Panik
Seit 2003 waren mehr als zwei Drittel der irakischen Christen – in Folge von Entführungen, gezielten Morden und Anschlägen – nach Karakosh und ins

Karakosh: Christliche Schülerinnen trauen sich wieder auf die Straße

Karakosh: Christliche Schülerinnen trauen sich wieder auf die Straße

umliegende Ninive-Tal geflüchtet. Nun scheint auch diese mehrheitlich christlich bewohnte Region vor Attentaten nicht mehr sicher. IS-Kämpfer versuchten Ende Juni 2014 mit aller Gewalt in die Stadt Karakosh einzudringen, wurden aber von der kurdischen Peshmerga-Miliz (die schon zum Schutz der syrisch-katholischen Christen dort stationiert war, Anm.) mit starkem Artilleriebeschuss zurückgedrängt. Diese plötzlichen Gefechte hatten aber die Bevölkerung in Panik versetzt. Obwohl es weder Tote noch Verletzte gab – wie es der von Mossul nach Karakosh geflüchtete Erzbischof Petros Mouche CSI gegenüber bestätigte – flohen fast alle 40.000 Bewohner der Stadt binnen 24 Stunden Richtung Norden ins sichere Kurdengebiet. Erst als die Peschmergas endgültig die IS-Terroristen aus der Stadt vertrieben hatte, wagten die meisten wieder den Weg zurück in ihre Häuser.

Große humanitäre Krise durch IS-Kämpfer
Tatsächlich haben, UNICEF-Angaben zufolge, die Vertreibungen der letzten Tage – auch aus anderen christlichen Dörfern der Ninive-Ebene – durch die Offensive der sunnitischen IS-Milizen schon Ausmaße einer großen „humanitären Krise“ angenommen. Was der Bevölkerung jetzt vor allem fehlt, bei Temperaturen von 40°, ist Wasser. Die Trinkwasserversorgung wird derzeit, so Erzbischof Mouche, „von der IS im Dorf Salamieh am Tigris, 15 km westlich von Karakosh, kontrolliert. Strom gibt es nur einige Stunden pro Tag. Die Elektrizitätsversorgung kommt direkt aus Mossul: Sie befindet sich also auch in den Händen der IS.  In dieser ohnehin schon sehr prekären Situation sind obendrein die Benzin- und Lebensmittelpreise drastisch gestiegen.“

„Sonst wird der radikale Islam auch die Toren Wiens erreichen…“
Am schlimmsten ist aber die Angst der Christen, die ihnen noch in den Gliedern steckt. Erzbischof Mouche schlägt Alarm: „Seit der amerikanischen Invasion 2003 werden die Christen durch die muslimische Mehrheit permanent diskriminiert, verfolgt, oft auch getötet. Was bleibt uns, auf lange Sicht gesehen,  außer der Flucht übrig? Doch Emigration würde eine baldige Auslöschung der irakischen Christenheit bedeuten. Das wäre ganz im Sinne der IS, doch eine Katastrophe auch für die toleranten Muslime im Land!“

Zwei Nonnen und drei Kinder entführt
Auch Louis Raphael Sako, chaldäischer Patriarch von Bagdad, zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft seines Landes. Er sehe kaum noch Hoffnung, dass der Irak künftig als Gesamtstaat erhalten bleibt: „Die Kurden haben schon eine gewisse Autonomie, die Schiiten fast auch. Nun werden die Sunniten folgen. Der Irak wird also geteilt werden. Wir erleben gerade die dunkelste Stunde des Irak“ sagte er mit fast resignierter Stimme. „Die Situation ist bei uns sehr heikel geworden. Keiner kann mehr in einem geschützten Raum leben. Die IS-Truppen haben Mossul (Sakos Heimatstadt, Anm.) und fast den gesamten Westen des Landes besetzt. In Mossul haben sie am helllichten Tage zwei chaldäische Nonnen mit zwei Waisenkindern und einem 12-jährigen Buben entführt, die bis heute spurlos verschwunden sind. Die Wellen des Hasses steigen und bedrohen uns. Vergesst uns Christen und unser Land nicht!“

chald Patriarch Louis Raphael I Sako von IrakLouis Raphael I. Sako, chaldäisch-katholischer Patriarch von Bagdad:
„Die IS-Terrororganisation will einen islamischen Staat mit Ölquellen gründen, um die Welt zu islamisieren. Wenn die Situation weiter eskaliert, wird die Zahl der Christen weiter dramatisch schrumpfen – von einst mehr als einer Million auf bald nur noch 50.000 Gläubige. Dann ist das christliche Leben im Irak vom Aussterben bedroht. Daher sollte die internationale Gemeinschaft nicht gleichgültig zuschauen, sondern den Irak mit allen Mitteln unterstützen, damit das sinnlose Blutvergießen endlich aufhört und rasch eine politische Lösung gefunden werden kann.“
Bagdad, 2. Juli 2014

Yohanna Petros Mouche, syrisch-katholischer Erzbischof von Mossul:

©  KIRCHE IN NOT

© KIRCHE IN NOT

„Wenn Wirtschaftsverträge mit unserer Regierung abgeschlossen werden, verlangen Sie als Rahmenbedingung die strikte Gewährleistung der Menschen- und Minderheitenrechte. Verschließen Sie nicht die Augen vor der großen Gefahr, die von IS ausgeht, die die Sicherheit auch in Europa ernsthaft bedroht. Jetzt ist dringender Handlungsbedarf nötig! Sonst wird der radikale Islam bald auch die Tore Wiens erreichen. Dann ist es definitiv zu spät. Die IS strebt einen Steinzeitislamismus an, sie verfolgt eine Kultur des Todes und nicht des Lebens…“
Karakosh, 6. Juli 2014