Er ist inzwischen das bekannteste Gesicht der verfolgten und eingesperrten Christen im Iran und ein Symbol für die Lage ehemaliger Muslime, die zum Christentum konvertiert sind: Der Ex-Muslim und Pastor Saeed Abedini. Wir bringen in gekürzter Form einen typischen Tagesablauf im Gefängnis Rajai Shahr in Karaj, rund 40 Kilometer nordwestlich von Irans Hauptstadt Teheran. Seine Frau Naghmeh schilderte ihn jüngst vor Journalisten: „Ein Tag im Leben meines Mannes, so wie er ihn erzählen würde“.
08:00 Uhr Ich erwache nach einer schlaflosen Nacht. Unsere Zelle ist unterirdisch, ohne jegliches Tageslicht. Ausgelegt ist sie für 20 Personen, doch bei uns sind derzeit rund 80 Mann zusammengepfercht.
Was wird der Tag bringen? Wird ein weiterer meiner Mitgefangenen zur Hinrichtung geführt? Normalerweise finden diese einmal im Monat statt, aber sie haben auch schon mehrere Tage hintereinander bis zu fünfzig Personen abgeholt. Wird mich ein weiteres Mal einer der Wachen bedrohen, damit ich meinem Glauben abschwöre und wieder zum Islam zurückkehre? Ich werde aus meinen Gedanken gerissen: Zählappell. Für die Wärter sind wir keine Menschen, nur Nummern. Das Frühstück besteht aus Brot und etwas Käse. Es gibt nur zwei karge Mahlzeiten, morgens und abends eine.
10:00 Uhr Heute kann ich endlich wieder duschen! Ein Luxus, den man sonst gar nicht zu schätzen weiß. Wir haben hier nur drei Duschen, das heißt, dass ich etwa einmal pro Woche an der Reihe bin. Das Wasser ist eiskalt. Im Winter schlottern wir noch, wenn wir schon trocken sind. Doch bei all dem Dreck hier bin ich glücklich über das Wasser – egal wie kalt es ist.
11:00 Uhr Einige von uns liegen auf dreistöckigen Holzpritschen. Andere liegen auf dem Boden, auf Teppichresten, weil es auf dem nackten Beton zu kalt und zu hart ist. In Gesellschaft mit Anderen vergeht die Zeit einfach schneller. Mich zu ihnen zu setzen ist aber nicht immer leicht, denn einige meiner Mithäftlinge sehen meine bloße Existenz als Provokation. Ich bin vom Islam zum Christentum übergetreten und obendrein habe ich neben der iranischen auch noch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Für heute entschließe ich mich, mich lieber in meine Ecke zu verkriechen.
12:00 Uhr Die Wachen treiben uns zum Hofgang. Der Hof ist nicht mehr als eine große Gefängniszelle mit Betonboden und –wänden, aber ohne Decke. Täglich können wir eine, manchmal bis zu zwei Stunden ins Sonnenlicht. Aber in den vergangenen Jahren habe ich zeitweise über Monate darauf verzichten müssen. Denn es gibt hier Mitgefangene, die islamischen Terrorgruppen angehören oder mit ihnen sympathisieren. Das Sonnenlicht ist eine Verlockung, doch im Augenblick ist mir das Risiko zu groß, mit ihnen in Berührung zu kommen. So bleibe ich lieber in meiner Zelle.
14:00 Uhr Wir Häftlinge sind für die Sauberkeit der Abteilung selbst verantwortlich. Wir haben zwar verschiedene Aufgaben, aber nicht die Möglichkeiten, sie zu erfüllen. Hier sind so viele Menschen zusammengepfercht. Das ganze Gefängnis ist völlig heruntergekommen, so dass es vor Dreck, Schaben, Mäusen und anderem Ungeziefer nur so wimmelt.
Heute ist es meine Aufgabe, das sog. „Bad“ zu reinigen. Es ist nicht mehr als ein Loch im Boden. Jeder Versuch, es sauber zu halten, ist eigentlich sinnlos, denn das Rohr aus der Etage darüber ist leck. Urin und Unrat aus dem Bad über uns klecksen direkt zu uns herunter.
17:00 Uhr Mein Magenknurren ist wieder in starke Magenschmerzen übergegangen. Das liegt nicht nur an den zwei kargen Essensrationen, sondern auch an mehreren inneren Verletzungen, die ich bei Verhören und auch willkürlichen Tritten und Schlägen durch die Wachen bekommen habe. Einmal stand es nach einem Verhör mit mir so sehr auf der Kippe, dass sie mich in ein Zivilkrankenhaus einliefern mussten. Die Ärzte dort sagten, ich sollte dringend operiert werden. Doch die Gefängnisleitung ließ das nicht zu. Die Schmerzen waren in den vergangenen Jahren mal heftiger, mal erträglicher. Heute geht es mir leider ziemlich schlecht. Schmerzmittel habe ich schon lange keine mehr und die Gefängnisärzte weigern sich, mich weiter zu versorgen.
18:00 Uhr Der zweite Zählappell. Ich denke wieder an Naghmeh, meine Frau, und an unsere Kinder, Rebecca und Jacob (s. Bild auf S. 4). Seit über drei Jahren habe wir uns nicht sehen können. Die beiden Kleinen sind jetzt schon acht und sieben Jahre alt. Sie werden ohne mich groß – ich vermisse sie furchtbar. Was für eine Ironie des Schicksals, dass sie ihren Vater verloren haben, weil ich ein Waisenhaus für Straßenkinder eröffnen wollte.
19:00 Uhr Wenn hier ein neuer Gefangener ankommt, dann hat er nur die Kleidung, die er am Leib trägt und das Geld, das er bei seiner Festnahme bei sich hatte. Nach der obligatorischen Quarantäne kommt der Neue zu den anderen Gefangenen und muss im Gefängnisladen kaufen, was er sonst noch braucht. Wir müssen unser Geschirr selbst kaufen, das Besteck, unsere Laken und Decken für den Winter, Unterwäsche, Waschzeug: praktisch alles. Gefangene, die Probleme mit ihrer Familie haben, müssen zusehen, wie sie zurechtkommen. Als Schüsseln und Tassen benutzen sie z.B. aufgeschnittene Plastikflaschen, in denen vorher Milch oder Reinigungsmittel war. Ich bin glücklich, dass meine Familie mir genug Geld auf meinem Konto beim Gefängnisladen zur Verfügung gestellt hat. So konnte ich mir eine eigene Schüssel und einen Löffel kaufen.
Zum Abendessen gibt es entweder eine einzelne Kartoffel oder etwas Reis mit ein bisschen Soße. In den Jahren, in denen ich im Gefängnis bin, war Eiweiß – und erst Recht Fleisch – Mangelware. Der Gefängnisladen hatte mal welches verkauft. Das ist schon über sieben Monate her.
Seit mehreren Wochen müssen wir Leitungswasser trinken. Es ist trübe und man muss erst warten, bis sich das Sediment abgesetzt hat, bevor man von oben das Wasser abtrinken kann. Dieses Wasser und die Mangelernährung fordern ihren Tribut. Ich fühle mich ständig geschwächt und krank.
21:00 Uhr Draußen muss inzwischen die Sonne untergegangen sein. In meiner Zelle ist es ebenfalls dunkel, fürchterlich eng und gedrängt. In meiner Ecke ist ein offener Lüftungsschacht, der nicht verschlossen werden kann. Im Winter liegt hier, in dieser bergigen Region des Iran, Schnee. Die Gefängnisleitung stellt für etwa einen Monat die Heizung an, aber wenn sie wieder aus ist, dann ist die eisige Kälte im Winter brutal. Ich bin so glücklich, dass es inzwischen wärmer geworden ist. Bevor ich mich unter meiner Decke verkrieche, prüfe ich erst mal, wer da schon liegt. Das ganze Gefängnis ist voller Schaben. Eines Abends stelle ich fest, dass auch eine Maus angefangen hatte, sich aus meinen Taschentüchern ein Nest zu bauen.
00:30 Uhr Das Licht wird um halb eins in der Nacht komplett gelöscht. In den vergangenen Wochen ist die Zahl der Hinrichtungen wieder stark gestiegen. Ich versuche, meine Augen zu schließen und die Geräusche des Todes auszublenden. Meine Gedanken drehen sich. Ich versuche, die Gegenwart ganz wegzuschieben, mich nur auf den Tag zu konzentrieren, an dem ich meine Frau und meine Kinder wiedersehen kann… (IGFM)