Eines der zentralen Themen war das dringende, zu lösende Problem der Verfolgung der Christen
Das Treffen zwischen Papst Franziskus und dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. war ein historisches Ereignis par excellence. Zum ersten Mal in der Geschichte trafen sich am 12. Februar 2016 die christlichen Oberhäupter der Kirchen des Westens und des Ostens – fast 1.000 Jahre nach dem Schisma von 1054 (1). Sehr besorgt haben sich die beiden Kirchenführer insbesondere über die Verfolgung von Christen in vielen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas geäußert. Gemeinsam müssten die Kirchen viel stärker als bisher ihre Stimme zur Verteidigung der um ihr Leben bedrohten Christen erheben. Die internationale Gemeinschaft müsse dringend handeln, um einer weiteren Vertreibung dieser Menschen entgegenzusteuern. Solch ein Treffen war dringend notwendig, um in einer Zeit globalen Wandels, angesichts der vielen Herausforderungen, die eine gemeinsame Antwort erfordern, die christlichen Werte gemeinsam zu stärken.
Hier veröffentlichen wir die wesentlichen Passagen zum Thema Christenverfolgung – Punkt 8 bis Punkt 15 – im Wortlaut der gemeinsamen Erklärung von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. von Moskau (2).
8. Unser Augenmerk richtet sich in erster Linie auf die Gebiete in der Welt, in denen die Christen Opfer von Verfolgung sind. In vielen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas werden Familien, Dörfer und ganze Städte unserer Brüder und Schwestern in Christus ausgelöscht. Ihre Kirchen werden verwüstet und barbarisch ausgeplündert, ihre sakralen Gegenstände profaniert, ihre Denkmäler zerstört. In Syrien, im Irak und in anderen Ländern des Nahen Ostens stellen wir mit Schmerz eine massenhafte Abwanderung der Christen fest, aus dem Gebiet, in dem sich unser Glaube einst auszubreiten begonnen hat und wo sie seit den Zeiten der Apostel zusammen mit anderen Religionsgemeinschaften gelebt haben.
9. Bitten wir die internationale Gemeinschaft, dringend zu handeln, um einer weiteren Vertreibung der Christen im Nahen Osten zuvorzukommen. Wenn wir die Stimme zur Verteidigung der verfolgten Christen erheben, möchten wir zugleich unser Mitgefühl für die Leiden zum Ausdruck bringen, die die Angehörigen anderer religiöser Traditionen erfahren, welche ihrerseits Opfer von Bürgerkrieg, Chaos und terroristischer Gewalt geworden sind.
10. In Syrien und im Irak hat die Gewalt bereits Tausende von Opfern gefordert sowie Millionen von Menschen obdachlos und ohne Mittel zurückgelassen. Wir rufen die internationale Gemeinschaft auf, sich zu vereinen, um der Gewalt und dem Terrorismus ein Ende zu setzen, und zugleich durch den Dialog zu einer raschen Wiederherstellung des inneren Friedens beizutragen. Es ist entscheidend, eine humanitäre Hilfe in großem Umfang für die gepeinigten Bevölkerungen und für die so vielen Flüchtlinge in den angrenzenden Ländern bereit zu stellen.
Wir bitten alle, die auf das Schicksal der Entführten – unter ihnen die Metropoliten von Aleppo Pavlos und Yohanna Ibrahim, die im April 2013 verschleppt wurden – Einfluss nehmen können, alles zu unternehmen, was für ihre rasche Befreiung nötig ist.
11. Flehen wir in unseren Gebeten zu Christus, dem Erlöser der Welt, um die Wiederherstellung des Friedens im Nahen Osten, der „das Werk der Gerechtigkeit“ (Jes 32,17) ist, auf dass sich das brüderliche Zusammenleben zwischen den verschiedenen Volksgruppen, Kirchen und Religionen dort intensiviere, auf dass die Flüchtlinge in ihre Häuser zurückkehren können, die Verletzten wieder genesen und die Seelen der unschuldig Getöteten die Ewige Ruhe finden.
Einen dringenden Appell richten wir an alle Parteien, die in die Konflikte verwickelt sein können, auf dass sie guten Willen zeigen und sich an den Verhandlungstisch setzen. Zugleich ist es nötig, dass die internationale Gemeinschaft alle möglichen Anstrengungen unternimmt, um dem Terrorismus mit Hilfe von gemeinsamen, vereinten und abgestimmten Aktionen ein Ende zu setzen. Wir rufen alle Länder auf, die in den Kampf gegen den Terrorismus involviert sind, in verantwortungsvoller und umsichtiger Weise zu handeln. Wir ermahnen alle Christen und alle Gottgläubigen, mit Inbrunst den sorgenden Schöpfer der Welt zu bitten, auf dass er seine Schöpfung vor der Vernichtung bewahre und keinen neuen Weltkrieg zulasse. Für einen dauerhaften und zuverlässigen Frieden sind besondere Bemühungen erforderlich, die darauf ausgerichtet sind, die gemeinsamen, uns verbindenden Werte wiederzuentdecken, die im Evangelium unseres Herrn Jesus Christus ihr Fundament haben.
12. Wir verbeugen uns vor dem Martyrium derjenigen, die auf Kosten ihres eigenen Lebens die Wahrheit des Evangeliums bezeugt haben und den Tod der Verleugnung des Glaubens an Christus vorgezogen haben. (…)
13. In dieser beunruhigenden Zeit ist der interreligiöse Dialog unerlässlich. Die Unterschiede im Verständnis der religiösen Wahrheiten dürfen die Menschen unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen nicht davon abhalten, in Frieden und Eintracht zu leben. Unter den aktuellen Umständen haben die Leiter der Religionsgemeinschaften die besondere Verantwortung, ihre Gläubigen in einem respektvollen Geist gegenüber den Überzeugungen derer, die anderen religiösen Traditionen angehören, zu erziehen. Absolut inakzeptabel sind die Versuche, kriminelle Handlungen mit religiösen Slogans zu rechtfertigen. Kein Verbrechen kann im Namen Gottes begangen werden, „denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern ein Gott des Friedens“ (1 Kor 14,33).
14. Indem wir den hohen Wert der Religionsfreiheit bekräftigen, danken wir Gott für die noch nie dagewesene Erneuerung des christlichen Glaubens, die gerade in Russland und in vielen Ländern Osteuropas geschieht, wo über Jahrzehnte hinweg atheistische Regime vorgeherrscht haben. Heute sind die Ketten des militanten Atheismus zerbrochen, und die Christen können an vielen Orten ihren Glauben frei bekennen. In einem Vierteljahrhundert sind Zehntausende von neuen Kirchen gebaut sowie Hunderte von Klöstern und theologischen Schulen eröffnet worden. Die christlichen Gemeinschaften bringen eine wichtige karitative und soziale Aktivität voran, indem sie den Bedürftigen vielfältige Unterstützung bieten. Orthodoxe und Katholiken arbeiten oft Seite an Seite. Sie bestätigen die bestehenden gemeinsamen spirituellen Fundamente des menschlichen Zusammenlebens und bezeugen die Werte des Evangeliums.
15. Gleichzeitig sind wir über die Situation in vielen Ländern besorgt, in denen die Christen immer häufiger mit einer Einschränkung der religiösen Freiheit, des Rechts, die eigenen Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen, und der Möglichkeit, ihnen entsprechend zu leben, konfrontiert sind. Besonders stellen wir fest, dass die Transformation einiger Länder in säkularisierte Gesellschaften, die jedem Bezug zu Gott und seiner Wahrheit fernstehen, eine schwere Bedrohung für die Religionsfreiheit darstellt. Quelle zur Beunruhigung ist für uns die gegenwärtige Beschränkung der Rechte der Christen, wenn nicht gar ihre Diskriminierung, wenn gewisse politische Kräfte, die durch die Ideologie eines oft sehr aggressiven Säkularismus geleitet werden, sie an den Rand des öffentlichen Lebens zu drängen versuchen.
Havanna (Kuba), am 12. Februar 2016
(1) Spaltung zwischen orthodoxer und römisch-
katholischer Kirche.
(2) Die Erklärung umfasst in 30 Punkten verschiedene Themenbereiche, die uns alle angehen, wie etwa die Verfolgung der Christen aber auch das u. a. gemeinsame Vorgehen gegen die Armut in der Welt, die zentrale Rolle der Ehe zwischen Mann und Frau, die Verurteilung von Euthanasie und gewissen biomedizinischen Experimenten.