Sie war die einzige Christin an der Spitze einer türkischen Großstadt

Quelle: Deniz Yücel

Quelle: Deniz Yücel

Große Empörung in der aramäischen Weltgemeinschaft hat die Absetzung der Ko-Bürgermeisterin der ostanatolischen Metropole Mardin, Februniye (Febronia) Akyol, im Zug der in der Türkei laufenden Amtsenthebungswelle ausgelöst. Auch Ahmet Türk, ihr kurdischer Kollege, wurde abgesetzt. Die beiden hatten seit der Wahl im März 2014 gemeinsam die Geschicke der 90.000-Einwohner-Stadt mit ihrer reichen Geschichte geleitet. Mit Frau Akyol war erstmals eine Christin an der Spitze einer türkischen Großstadt gestanden.

Der  Vorsitzende des  „Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland“, Daniyel Demir, sagte am vergangenen 11. November, mit der Amtsenthebung von Februniye Akyol habe Ankara den letzten Aramäern in Anatolien ein unmissverständliches Signal gegeben: „Sie sind unerwünscht“. Bereits wenige Tage davor sei die Peter-Paul-Kathedrale in Urfa mit dem anschließenden syrisch-orthodoxen Bischofssitz endgültig vom Staat konfisziert worden. Das weltbekannte Kloster Mar Gabriel, das geistliche Zentrum des Tur Abdin, scheine wieder in ernster Gefahr zu sein.  Wörtlich stellte Demir fest: „Wir fordern die deutsche Bundesregierung endlich zum Handeln auf, andernfalls werden wir stumme Zeugen des letzten Aktes der Entchristianisierung in Anatolien“. (poi)

400.000 Aramäer in der europäischen Diaspora
Der „Bundesverband der Aramäer in Deutschland“ setzt sich für die Rechte und Interessen der aramäischen Gemeinschaft in Deutschland und den Heimatländern ein. In Deutschland leben etwa 150.000 Aramäer, in Österreich über 2.500 * und in der EU insgesamt bis zu 400.000. Die christlichen Aramäer sprechen auch heute noch die Sprache Jesu oder verwenden sie zumindest in der Liturgie.

*Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der syrisch-orthodoxen Diaspora in Europa war übrigens die offizielle Anerkennung der syrisch-orthodoxen Kirche in Österreich am 25.2.1988. Das war das erste Mal, dass sich ein europäischer Staat zu solch einer Anerkennung bereitfand.  (besim)

Aus einem Interview mit Frau Akyol

Wurden Sie vor Ihrer Absetzung angehört?
Akyol: Nein. Und gemäß den Bestimmungen des Ausnahmezustands haben wir keine Möglichkeit, gegen die Maßnahme zu klagen. 37 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. Keiner von ihnen wurde rechtskräftig verurteilt; es gibt nichts außer unbewiesenen Vorwürfen.

Was, glauben Sie, ist der Grund für dieses Vorgehen?
Die Regierung nutzt den Putschversuch (Juli 2016, Anm.) als Vorwand, um die politische Bewegung der Kurden und alle Opposition zu unterdrücken.

Sie waren die einzige christliche Bürgermeisterin der Türkei.
Vielleicht schmückt sich diese Regierung nach außen damit, dass in der Türkei Aramäer, Aleviten oder andere Minderheiten leben, vielleicht benutzen sie das für die Tourismuswerbung. Aber in der Wirklichkeit gibt es in ihrer Welt keinen Platz für Menschen, die anders denken oder anders sind als sie selber.

Obwohl sie mit großen Mehrheiten gewählt wurden, gab es gegen die Absetzungen keine größeren Proteste. Warum?
Nach der Gewalt und den Zerstörungen der letzten Zeit sind die Leute im Schockzustand. Aber dass sie nicht in großen Massen auf die Straße gehen, heißt nicht, dass sie mit dieser Politik einverstanden wären.

Gibt es Reaktionen aus Europa?
Verbal schon. Aber ich hätte mir gewünscht, dass europäische Politiker konkrete Schritte gemacht hätten.