Ein Nahostexperte der Deutschen Evangelischen Allianz ist Ende Juli 2018 quer durch Syrien gereist. Hier eine Zusammenfassung seiner Eindrücke. Allem anderen voran steht die Hoffnung, nachdem der Chaos und Willkür in den von den Aufständischen und die Repressionen in den staatlich kontrollierten Gebieten aufgehört haben. 90% des Landes genießt eine größere Freiheit als vor dem Krieg. Nur die 10% um Idlib und Afrin, wo sunnitische Rebellen mit Hilfe der Türkei noch herrschen. Wir freuen uns für die Christen und anderen religiösen Gruppierungen, die während der Kriegsjahre unter Beschuss standen, dass diese Katastrophe überstanden ist!

Tübingen, AKREF/PM Ein Nahostexperte der Evangelischen Allianz ist Ende Juli 2018 quer durch Syrien gereist. Hier eine Zusammenfassung seiner Eindrücke. Allem anderen voran steht die Hoffnung, nachdem der Chaos und Willkür in den von den Aufständischen und die Repressionen in den staatlich kontrollierten Gebieten aufgehört haben. 90% des Landes genießt eine größere Freiheit als vor dem Krieg. Nur die 10% um Idlib und Afrin, wo sunnitische Rebellen mit Hilfe der Türkei noch herrschen. Wir freuen uns für die Christen und anderen religiösen Gruppierungen, die während der Kriegsjahre unter Beschuss standen, dass diese Katastrophe überstanden ist!

Hier sein Bericht (gekürzt):

Ich bin diesmal über Syrien, Land, Zustand und Einwohner positiv überrascht worden. Mein Eindruck: das Land will möglichst schnell die Folgen des Krieges hinter sich lassen und zur Normalität zurückkehren.Überall im Land: Die Hoffnung kehrt zurück – auch aus (den im Krieg stark umkämpften Gebeiten) Aleppo und Homs gab es sehr positive Eindrücke.In 90% des Landes ist der Krieg komplett zu Ende. Es gibt keine Kidnappings mehr. Es herrscht wieder die syrische Regierung und im Nordosten die kurdische Autonomiebehörde und es gelten wieder Gesetze. Einheimische Syrer sagen: „Endlich herrscht hier keine Gesetzlosigkeit mehr, das war schlimm!“Überall im Land herrscht Aufbruchstimmung, die Leute wollen ihr Land und Leben wieder aufbauen. Im Land sind allein in den vergangenen 12 Monaten 750.000 Inlandsflüchtlinge wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt. 70% der inländisch Vertriebenen aus Aleppo und Homs sind wieder in ihre Heimat zurück, nur vom Ausland, da stockt es noch mit der Rückkehr. Angesichts der verbesserte Lage in Syrien beklagte der libanesische Außenminister Gebran Bassil im Juli 2018, dass der UNHCR nicht genügend unternimmt, um die syrischen Flüchtlinge zur Rückkehr zur ermutigen.Auch in der südlichen Provinz Deraa ist der Krieg nun im Juli gerade zu Ende gegangen. In nur 10% des Landes gibt es noch kriegerische Auseinandersetzungen, da herrschen weiterhin die sunnitisch-islamistischen Rebellen vor allem mit Unterstützung der Türkei, das sind die Provinzen Afrin und Idlib. Hier gibt es aktuell noch Entführungen. Einwohner klagen über zum Teil chaotische und gesetzlose Zustände. Nicht-Sunniten haben einen schweren Stand, doch von diesen Gebieten bekommt man beim Reisen durchs Land so gut wie nichts mit, sie sind gut abgeschirmt. …

In den 90% des Landes, die journalistisch kaum betrachtet werden (Stand Ende Juli 2018) gibt es Aufbruchstimmung:

  • Überall im Land werden Strassen, saniert, geteert, neue Autobahnen gebaut….
  • Kriegsschäden und Kriegsmaterial wurden fast überall schon beseitigt, sodass das Leben weitergehen kann. Man hat den Eindruck, dass gerade auch die öffentliche Hand sich kümmert und um schnelle Normalität bemüht ist.
  • Es gibt zwar noch viele Checkpoints bei der Fahrt durch das Land, aber es gibt spürbar mehr Bewegungsfreiheit, der Polizeiapparat ist lockerer, in den Städten sind Checkpoints abgebaut und die Checkpoint-Soldaten sind freundlich, nicht mehr so willkürlich wie zuvor, weil nun wieder Gesetze gelten… Dies bestätigen mehrfach auch die Einheimischen.
  • Die Sicherheitslage im Land hat sich nicht nur erheblich verbessert, sie ist sogar sehr gut. Man kann in Aleppo sogar sein Auto oder seine Wohnung offen stehen lassen und fühlt sich zu keiner Zeit unsicher…

Aleppo – Die Stadt steht für die neue allgemeine Aufbruchstimmung im Land:

  • Die Hälfte der Stadt liegt noch in Trümmern, aber es wird aufgeräumt und die Straßen sind gesäubert. In der anderen Hälfte der Stadt pulsiert das Leben, mit modernsten Geschäften, Handy-Läden, Modegeschäften und Lebensmittel-Läden. Alles ist vorhanden…
  • Die Schwimmbäder in Aleppo haben seit einiger Zeit wieder geöffnet.
  • In diesem Teil der Stadt gibt es so gut wie keinerlei Spuren des Krieges, es sieht aus wie in Beirut oder Amman.
  • Es herrscht eine Atmosphäre und Stimmung des Aufatmens und der Freiheit, weniger Repression, weniger Depression, das hört man überall von den Einheimischen.
  • Die Menschen, v.a. junge, modisch gekleidete Syrer jeder Religionszugehörigkeit arbeiten zusammen und genießen zusammen die Freizeit in Cafés und Restaurants, sie gehen spazieren… Die vorherige gesellschaftliche Trennung zwischen Mann und Frau scheint weitgehend überwunden.  Einheimische sagen: „Jetzt ist es viel freier und moderner als früher.“
  • Seniorenvereine und Schulklassen besuchen als syrische Touristengruppen lachend die restaurierte Burg Aleppos inmitten der zerstörten Stadthälfte und gehen anschließend zusammen in eine Eisdiele oder Café gleich nebenan.
  • Das Leben kehrt zurück und alle freuen sich.

 Das grösste Problem ist die schwache Ökonomie

  • Der Wechselkurs ist gegenwärtig 1 USD = 440 SL und z.Zt. recht stabil.
  • Einkommen sind sehr schwach und nicht ausreichend.
  • Höchster Monatsgehalt (z.B. Universitäts-Professor –  monatlich 150 USD = 75000 SL)
  • Lehrer/ Beamte des mittleren und gehobenen Dienstes – monatlich 70-100 USD = 35-50000 SL.
  • Gut bezahlter -Monats-Gehalt in der Privatwirtschaft: 100 USD monatlich – z.B. leitender Verkäufer in einem sehr gut gehenden, modernen Handy Geschäft.
  • Normaler Job in der Privatwirtschaft – monatlich 30-50-70 USD.

Lebenshaltungskosten (30.Juli 2018)

  • übersteigen das Einkommen, deshalb arbeiten viele 2-3 Jobs, 7 Tage die Woche, bis zu 18 Std täglich
  • Essen+Leben = 200 USD monatlich für 1 Ehepaar
  • Monatlich 300-500 USD für Familie von 3-5 Pers (mittleres (300) – sehr gutes (500) Monats-Auskommen)
  • Monats-Miete einer Stadtwohnung in guter Lage (Aleppo) = 50 USD
  • Es gibt viele leerstehende Wohnungen, auch im nicht zerstörten Teil der Stadt

Angesichts dieser realen syrischen Einkommen kann man sich vorstellen, welche enorme Anziehungskraft unsere Asyl- und Sozialhilfesätze für Syrer haben.

Wehrdienst

  • Wehrpflichtige bekommen 1 Jahr zuvor einen Brief mit Datum zum Antritt ihres Wehrdienstes, aber junge Männer verlassen oft das Land ein halbes Jahr vorher oder tauchen unter… Aber generell geht es bei der Wehr-Aufforderung nach geltenden Gesetzen.
  • Das größte Problem: z.Zt. gilt unbegrenzter Wehrdienst (normal war vorher 1,5-2 Jahre). Das wird sich wieder normalisieren, wenn der Krieg zu Ende geht. Um Idlib gibt es schon Friedensverhandlungen, und es wird hauptsächlich darauf ankommen, dass die Türkei nicht weiter aggressiv auftritt.
  • Wehrpflichtige können sich nach 4 Jahren Auslandsaufenthalt mit 8’000 USD Bezahlung von allem Wehrdienst befreit werden, das tun immer mehr Syrer, die in Europa leben und es sind Diskussionen im Gange, diese 4 Jahre zu verkürzen.

Das Land braucht die Rückkehrer zum Wiederaufbau und zur Zukunftshoffnung, vor allem die jungen Männer, teilweise kommen auf 7 junge Frauen, 1 junger Mann.

Es gibt viele leerstehende Wohnungen, die Miete ist niedrig…

Im Hinblick auf Deutschland

Angesichts der neuen Hoffnung und Aufbruchsstimmung im Land ist es völlig unzeitgemäß und kontraproduktiv ausgerechnet jetzt noch weitere syrische Leute durch Familiennachzug nach Deutschland zu holen und sie dadurch dem Wiederaufbau des Landes zu berauben. Man sollte die Leute ermutigen und sie finanziell unterstützen, dort ihre Heimat wieder aufzubauen.Das Haupt-Problem heute in Syrien ist die ökonomische Lage, und dass viele Fachleute, die eine Gesellschaft dringend benötigt, ins Ausland gegangen sind (Handwerker, Lehrer, Ärzte, Ingenieure…). Asyl-Schutz oder subsidiärer Schutz ist angesichts der wesentlich verbesserten Lage in Syrien jetzt nicht mehr nötig.  Es gab auch während des ganzen Krieges große Gebiete (zB. die ganze Westküste mit Tartus und Lattakia sowie die Berge um Mashta Helu), die nie kriegsbedingte Sicherheitsprobleme hatten und bis heute einen wahren Bauboom erleben.  Natürlich wollen viele bei uns auch mit einem gewissen Eigeninteresse angekommenen Syrer noch nicht oder gar nicht zurückkehren, weil die Bilder ihrer Vertreibung noch in ihnen stecken und sie sich eine Besserung aus der Ferne nicht vorstellen können. Es ist ein psychologisches Problem in den Köpfen der Menschen, dass ihr Blick auf die Gegenwart stark von der schlimmen Vergangenheit gefärbt ist und deshalb manch positives und die gravierend verbesserte Sicherheitslage untergeht.  Gerade deshalb sollte Deutschland selbst mehr Politiker und eigene erfahrene Experten, die Syrien auch von früher kennen, zur eigenen Anschauung jetzt nach Syrien schicken, damit sie sich ein eigenes Bild davon machen können und nicht nur vom Hören-Sagen, den Medien oder von Erzählungen syrischer Asylsuchenden abhängig sind. Deutschland war immer stark in der Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien engagiert. Jetzt könnte Deutschland einen wesentlichen Beitrag leisten, damit dieses Land wieder auf die Füße kommt und nicht ein dauerhafter Destabilisationsfaktor im Nahen Osten bleibt. Personelle und ökonomische Hilfe vor Ort wäre die beste Entwicklungshilfe für das Land, z.B. durch ein Rückführungsprogramm mit finanziellen Anreizen:    Deutschland könnte jeder syrischen Familie 1-2 Jahre lang ein Rückkehr- Übergangsgeld zahlen, pro Monat 300-500 USD für eine Familie (1Jahr = 6000 USD, 2Jahre = 12000 USD pro Familie). Damit wäre der Ökonomie und dem Wiederaufbau Syriens am besten gedient, die Familien könnten 2 Jahre lang in ihrer Heimat sehr gut leben und in dieser Zeit auch gut ein eigenes Auskommen finden und ihr Land voranbringen. Die meisten Familien hätten in ihrem Heimatland eine bessere Zukunft als eine ungewisse in Deutschland mit einem langen Integrationsprozess. Ökonomische Hilfe im Land um die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen ist weit besser als viele Flüchtlinge dauerhaft bei uns zu behalten.

Für den Wehrdienst gibt es schon Lösungsansätze und weitere werden im Land diskutiert. Es wird sich auch wieder normalisieren, wenn der Krieg durch weniger islamistische Einflussnahme von Außen, speziell durch die Türkei aufhört. Kriegsdienstverweigerung ist schließlich kein Asylgrund, ebenso wenig Entzug vor Strafverfolgung für einen echten Kriegsverbrecher.

Deutschland und die Weltgemeinschaft kommen nicht umhin die realen Gegebenheiten zu erkennen und mit dem Assad-Regime ins Gespräch zu treten.

Insgesamt hat man im Land den Eindruck, dass Assad weiß, dass er die repressiven Zügel lockern muss, um sein Volk nicht zu verlieren.

Jedenfalls hat das Land und die Syrer eine zweite Chance verdient, und dazu besteht jetzt eine gute Möglichkeit, wenn die Menschen zurückkehren. (Quelle: AKREF Deutschland)