Der Salzburger Kirchenhistoriker Dietmar W. Winkler, profunder Kenner des Christentums im Orient, schildert dramatische Hintergründe und Auswirkungen der Entführung der beiden Aleppiner Bischöfe in Syrien.
Der entführte Erzbischof Gregorios: ein weltweit bekannter Mann des Dialoges
Salzburg-Stuttgart – Auf die dramatischen Hintergründe und Auswirkungen der Entführung der beiden Aleppiner Metropoliten Mar Gregorios Youhanna Ibrahim (im Bild re.) und Boulos Yazigi hat der Salzburger Kirchenhistoriker Prof. Dietmar W. Winkler (li. im Bild), in einem Radio-Interview mit dem „Südwest-Rundfunk“ (SWR) hingewiesen. Er betonte, dass die „Lage in Syrien völlig unübersichtlich“ ist. Auch bei der Opposition wisse man nicht immer, wer mit und wer gegen wen kämpft. Das führe zu „größter Sorge“ um die beiden entführten Metropoliten: „Wenn man jemanden entführt, dann stellt man früher oder später Forderungen. Das ist bisher offenbar nicht geschehen. Und zweitens: Für den syrisch-orthodoxen Metropoliten Mar Gregorios, der weltweit als ein Mann des Dialoges bekannt und vernetzt ist, wäre es völlig untypisch, wenn er sich nicht meldete“.
„Die Christen geraten hierbei zwischen die Fronten.“
Man müsse auch erkennen, dass der Konflikt in Syrien längst nicht einfach nur ein Bürgerkrieg ist, sondern einen religiösen Hintergrund hat, unterstrich Prof. Winkler, der als Mitglied der offiziellen Dialogkommission zwischen katholischer Kirche und orientalisch-orthodoxen Kirchen ein profunder Kenner der nahöstlichen Szene ist. Allerdings handle es sich in erster Linie um einen innermuslimischen Hintergrund: Es gehe um die Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten. Die Macht in Syrien habe eine schiitische Abspaltung innegehabt, die Alaouiten. Und der schiitische Iran wolle sich als Regionalmacht positionieren, über den Irak, Syrien und die libanesische schiitische Hizbollah den Zugang zum Mittelmeer freihalten. Die sunnitischen arabischen Staaten würden dem entgegenhalten, vor allem Saudi-Arabien, von wo aus muslimische Kämpfer, sog. „Jihadisten“, bestens finanziert würden. Winkler: „Die Christen geraten hierbei zwischen die Fronten. Und mit der Entführung der prominenten Bischöfe hat dies eine neue Dimension erreicht“.
„Die Christen im Orient gehören zum Wohle der muslimischen Gesellschaften“
Die Flüchtlingsströme von Muslimen und Christen aus Syrien seien bereits jetzt enorm, vor allem in den benachbarten Libanon, dessen Aufnahmekapazitäten am Limit sind. Zugleich unterstrich Prof. Winkler: „Selbstverständlich haben die Christen eine Perspektive im Nahen Osten, denn sie gehören gerade dahin. Dort hat das Christentum seine Wiege, dort fanden die ersten Konzilien statt, dort überdachten die frühen Kirchenväter den christlichen Glauben, dort liegen die Wurzeln des Christentum, von dort aus hat sich das Christentum in verschiedenen Traditionssträngen nach Ost und West ausgebreitet“. Christen seien lange vor der Ankunft des Islam im 7. Jahrhundert in der Region gewesen und hätten auch später mit den Muslimen – im Auf und Ab, zwischen fruchtbarem Austausch und Konflikten – zusammengelebt. In jüngerer Zeit habe sich immer wieder gezeigt, dass die Christen ein wesentliches Ausgleichsmoment im Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten sein können. „Die Christen im Orient gehören von uns mit allem Einsatz unterstützt, eben auch zum Wohle der muslimischen Gesellschaften“ – so Winkler. „Weitblickende Muslime, wie etwa der Grußmufti von Syrien, haben das längst erkannt“. (Auszüge aus: poi, Ende April 2013)