Zwei Wochen nach dem Start der Offensive auf Mossul sind irakische Sicherheitskräfte erstmals ins Stadtgebiet vorgedrungen. Die Erfolge auf dem Weg zur Rückeroberung Mossuls aus den Händen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS), die die Millionenstadt seit zwei Jahren kontrolliert, werden von den Christen im Irak genau beobachtet.
Otmar Oehring von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung ist gerade von einer Recherche-reise durch den Nordirak zurückgekehrt:
„Das Erste, das man in Erbil mitbekommt, ist, dass der Himmel grau ist: Das hängt mit den brennenden Ölfeldern zusammen, die der IS angezündet hat, um sich vor Luftschlägen zu wappnen. Was weniger in Erbil als in Ankawa, der christlichen Enklave und Nachbarstadt von Erbil, auffällt, ist, dass sich die Situation der Christen gewandelt hat: Von Hoffnung im Hinblick auf die Befreiung der Orte in der Ninive-Ebene hin zu einer Ernüchterung, als es dann endlich soweit war, und inzwischen – wie man sagen muss – tendenziell auch zu Verzweiflung.“
„Wer soll all die zerstörten Häuser wieder aufbauen?“
Das liegt daran, dass im Zug der Befreiung der Ortschaften immer klarer wird, wie stark dort die Zerstörungen sind. 75 bis 85 Prozent der Gebäude in den christlichen Siedlungsorten sind zerstört, und „niemand hat eine Vorstellung, wie all diese Gebäude wieder aufgebaut werden sollen“, so Oehring. „Die geflohenen Christen, die ja nun schon seit Sommer 2014 nicht mehr in diesen Gebieten waren, haben in der Zwischenzeit keine Einkünfte mehr erzielen können, sie haben kein Geld mehr. Wie sollen sie ohne Geld ihre Häuser wiederaufbauen?“
Das gelte auch für die Kirchengebäude. Ohne Hilfe aus dem Ausland sei ein Wiederaufbau der zerschlagenen kirchlichen Infrastruktur kaum zu leisten. „Und dann bleibt natürlich im Hintergrund die große Frage, wie es mit der Sicherheit in Zukunft aussehen wird. Denn die Gebiete in der Ninive-Ebene, in denen die Christen gelebt haben und in die sie natürlich gerne wieder zurückkehren würden, sind ja umstritten zwischen der irakischen Zentralregierung und der Regierung von Kurdistan…“
Rückkehr nach Mossul derzeit nicht vorstellbar
Zwar kann man in diesen Tagen Fernsehberichte von Christen sehen, die enthusiastisch wieder zurückkehren in ihre befreiten Dörfer, so Oehring. Vor zehn Tagen wäre das noch nicht möglich gewesen. „Ich wollte auch dorthin, aber man hat mir abgeraten, weil die Sicherheitslage doch noch nicht so war, dass man tatsächlich damit rechnen konnte, unbeschadet auch wieder zurückzukommen.“ Allerdings bessert sich mit jedem Tag die Sicherheitslage weiter. „Aber Flüchtlinge in einem christlichen Camp in Ankawa haben mir ganz klar gesagt, sie könnten sich momentan noch nicht vorstellen, dorthin zurückzukehren, weil eben zu viele Fragen ungeklärt sind… Und alle sagen ganz klar: Solange es keine Sicherheitsgarantien aus der westlichen Welt gibt, etwa den USA, können wir uns eine Rückkehr nicht vorstellen.“
Oehring rechnet also keineswegs mit einer größeren Welle von Rückkehrern in die dem IS abgerungenen christlichen Ortschaften der Ninive-Ebene. Erstaunlich und bedrückend ist, dass dieser Befund auch für Mossul gilt, wenn die Millionenstadt, die jetzt in den Händen des IS ist, eines Tages zurückerobert werden sollte.
„Was die Christen betrifft, ist damit zu rechnen, dass im Grunde genommen keine Christen mehr nach Mossul zurückkehren werden. Eigentlich sagen uneingeschränkt alle, dass sie sich das nicht vorstellen können. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sie im Sommer 2014 die Eroberung Mossuls durch den IS erlebt haben, sondern dass sich schon Jahre zuvor abgezeichnet hat, dass das Zusammenleben mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung immer schwieriger geworden ist, und dass es zu einer Radikalisierung in diesem Zusammenhang gekommen ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht abzusehen, wie ein Zusammenleben mit den Muslimen in Zukunft wieder möglich sein soll.“
Das bedeutet laut Oehring: Die Christen, die derzeit in Irakisch-Kurdistan als Flüchtlinge leben, werden „in naher Zukunft die Entscheidung treffen müssen, ob sie im Land bleiben – oder ob sie den Irak verlassen. Und wenn sie den Irak verlassen, dann werden sie zunächst einmal ins Nachbarland Türkei gehen und von da aus dorthin, wo man ihnen Aufnahme bietet oder wo sie glauben, dass sie ihre Zukunft frei und friedlich gestalten können.“
Christen: Keine Arbeit und Sprachprobleme
Aber könnten die Christen nicht auch beschließen, einfach in der Autonomen Region Kurdistan zu bleiben? Immerhin gibt es dort auch christliche Schulen. „Das Problem ist natürlich, dass die Menschen, die nach Kurdistan geflohen sind – ob aus dem direkten Umfeld oder aus Bagdad und Basra –, als direkte Verkehrssprache das Arabische nutzen und nicht das Chaldäische. Und in vielen dieser christlichen Schulen wird auf Chaldäisch unterrichtet – was für die neu Hinzukommenden genauso schwierig ist wie zum Beispiel das Erlernen des Kurdischen!“ Kinder könnten sich wohl noch „am einfachsten in diese Lage hineinfinden“, aber Erwachsene hätten es da deutlich schwieriger. Und Erwachsene stünden auch vor der fast unmöglichen Aufgabe, einen Arbeitsplatz zu finden. „Natürlich können sie sich irgendwie bei den Kirchen selber oder bei irgendwelchen christlichen Geschäftsleuten, die ohnehin schon in Kurdistan tätig waren, zu verdingen versuchen. Aber wenn man sich vorstellt, dass der Stadtteil Ankawa vor dem Sommer 2014 etwa 35.000 Einwohner hatte und die Bevölkerungszahl dort heute nach Schätzungen bei 100.000 liegt, dann ist klar, wie schwierig es ist, dort Arbeit zu finden.“
Darüber hinaus sei Kurdistan insgesamt von einer Wirtschaftskrise betroffen, die mit dem Krieg vor der Haustür zusammenhänge. „Vor diesem Hintergrund ist es außerordentlich schwierig, Arbeit zu finden, Einkommen zu generieren und damit sein Überleben selber in die Hand nehmen zu können.“ (rv)