Jerewan/ Baku
Armenien/ Aserbaidschan: Armenisch-Apostolische Kirche warnt vor „kulturellem Genozid“
Der Konflikt zwischen den beiden Ländern um das christliche Kulturerbe in Berg-Karabach spitzt sich zu.
In Armenien befürchtet man die nachhaltige Zerstörung des christlichen Erbes, nachdem Aserbaidschan angekündigt hatte, „armenische Fälschungen“ in Kirchen entfernen zu wollen. Seit dem Krieg letzten Herbst ging ein großer Teil des seit Jahrhunderten umkämpften Gebietes an Aserbaidschan, in diesem befinden sich viele bedeutende christliche Stätten, unter anderem die Kathedrale von Schuschi und das Kloster Dadivank.
Vor einigen Tagen kündigte der aserbaidschanische Kulturminister Anar Karimov an, die „fingierten Spuren der Armenier an albanischen religiösen Stätten“ zu entfernen. Auf dem Gebiet des heutigen Aserbaidschan befand sich bis Anfang des 9. Jahrhunderts ein antikes kaukasisch-albanisches Königreich. Laut einer Theorie des aserbaidschanischen Historikers Buniyatov sind die armenischen Inschriften auf Kirchen im Zuge einer „Armenisierung“ im frühen 19. Jahrhundert ergänzt worden. Von der Mehrheit der Expertinnen und Experten wird diese Theorie abgelehnt, nur aserbaidschanische Nationalisten halten an ihr fest. Präsident Aliyev sagte beim Besuch einer Kirche aus dem 12. Jahrhundert in Hadrut: „[…] all diese Inschriften sind gefälscht, sie wurden später angebracht“. Auch Kulturminister Karimov äußerte sich ähnlich. Über das mittelalterliche armenische Kloster Dadivank, sagte er, es sei eines „der bestes Zeugnisse der antiken kaukasischen albanischen Zivilisation“. Im Mai 2021 begannen die aserbaidschanischen Behörden die Kathedrale von Schuschi, die im Krieg beschädigt wurde, zu renovieren, um ihr die „ursprüngliche Form“ zurückzugeben.
Die Armenisch-Apostolische Kirche und ihr Katholikos Karekin II. kritisieren das aserbaidschanische Vorgehen aufs Schärfste, es sei ein „anti-humaner und anti-zivilisatorischer Akt“ und es gebe andauernde „Feindseligkeiten und Hass gegenüber Armenien, Berg Karabach und dem armenischen Volk“. Außerdem sei die „armenische Identität“ der christlichen Heiligtümer in Berg-Karabach wissenschaftlich bewiesen. Die Kirche ruft die internationale Gemeinschaft auf, auf „diesen offenen Fakt des kulturellen Genozids durch Aserbaidschan“ zu reagieren. In der aserbaidschanischen Enklave Nachitschewan sind tausende historische christliche Stätten in den vergangenen Jahren zerstört worden, „und weil die Welt weggesehen hat, glaubt Aserbaidschan nun, dass es solche Aktionen nochmals durchführen kann“, so Karekin II. bei einer internationalen Tagung zur Bewahrung des christlichen Erbes.
Ende 2021 forderte der Internationale Strafgerichtshof Aserbaidschan auf „alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um Vandalismus und Entweihung armenischer Kulturstätten zu verhindern und zu bestrafen“. Auch eine UNESCO-Mission hätte nach Berg-Karabach zur Inspektion der Kulturstätten entsendet werden sollen, alle Bemühungen verliefen aber bisher im Sand. Das aserbaidschanische Kulturministerium reagierte auf die Kritik und wies „Berichte der voreingenommenen ausländischen Massenmedien“ zurück. Aserbaidschan sei immer „respektvoll mit seinem historischen und kulturellen Erbe umgegangen, ungeachtet seines religiösen und ethnischen Ursprungs“. Es soll eine Arbeitsgruppe zur Untersuchung der Stätten eingerichtet werden. Das Denkmalamt der Republik Karabach verzeichnet in der Region insgesamt über 4.400 christliche Kulturdenkmäler: von Grabsteinen bis hin zu Fürstenpalästen.
(kap)