Hanna Ghoneim im Gespräch mit Pia de Simony

Hanna Ghoneim im Gespräch mit Pia de Simony

Der syrische Pfarrer Hanna Ghoneim im Gespräch mit Martin Morawetz und Pia de Simony:

Haben Sie aktuelle Nachrichten aus Ihrem Heimatland?
Jeden Tag erhalten wir schreckliche Nachrichten. Vor einigen Tagen wurde ein Mann aus unserem Dorf Maaruneh – in dem 1.200 Christen leben – von den Rebellen entführt. Sie haben ein Lösegeld von umgerechnet 90.000 Euro verlangt! Das hat unter den Bewohnern Panik ausgelöst. In den christlichen Vierteln von Aleppo haben die Aufständischen die Einheimischen durch Schießereien vertrieben. Sogar die dortige Residenz unseres melkitischen Erzbischofs Jean-Clément Jeanbart ist überfallen worden. Der Geistliche musste aus seinem Gebäude flüchten. Man vermutet einen  Racheakt seitens der Kämpfenden: Der Bischof  hatte vier Tage davor seine Gläubigen dazu aufgerufen, den Rebellen keine Waffen zu liefern.  Die offizielle Armee hatte dann gerade noch rechtzeitig eingegriffen, um zu verhindern, dass auch unsere Häuser geplündert werden.

Wie sieht die derzeitige Situation der Flüchtlinge aus?
Die humanitäre Lage der Flüchtlinge ist katastrophal! Sie ist viel dramatischer, als man es im Ausland annimmt. Es fehlt an Lebensmitteln, die Grundversorgung ist kaum gegeben. Wir versuchen zu helfen, wo wir können. Oft wird diese Hilfe verhindert, in manchen Straßen ist es sehr riskant, sich aufzuhalten. Es kann jederzeit irgendwo zu einem Feuergefecht kommen. Eine unterschwellige Angst ist allgegenwärtig. Doch gleichzeitig geht in gewissen Gegenden, sogar in einigen Stadtvierteln von Damaskus, der normale Alltag weiter. Die Menschen versuchen sich irgendwie durchzuwursteln.

Wie sehen Sie die Situation der Christen nach einem Fall Assads?
Wir Syrer, Christen als auch die meisten Muslime, sind der Meinung, dass der Sturz Präsident Assads das Land in ein Chaos ohne Ende führen würde, dessen Auswirkungen auf alle angrenzenden Länder – etwa Israel, Libanon, Irak – nicht absehbar sind. Bedenken Sie, dass Assad selbst in diesem Konflikt nicht das Hauptproblem ist, wie es die westlichen Medien oft behaupten, sondern dezidierte Absichten seitens der USA, Russland und des Iran. Das syrische Volk will keinen Bürgerkrieg! Eingeschleuste ausländische Kräfte mit extremistischen Tendenzen – etwa aus Saudi-Arabien oder Katar – haben ihn angezettelt, primär aus wirtschaftlichen Interessen. Und die Syrer bezahlen dafür die Rechnung!

Werden religiöse Konflikte aufflammen?
Wahhabitisch geprägte Länder – wie die soeben erwähnten Länder Saudi-Arabien und Katar – schüren diesen Konflikt. Sie sind gerade dabei, ihn in einen Bürgerkrieg zu verwandeln. Wir Syrer – egal ob Muslime oder Christen – haben bis vor Ausbruch der Unruhen im März 2011 immer friedlich miteinander gelebt. Deshalb setzen sich die einheimischen Politiker, nach wie vor, vehement für eine Nichteinmischung von außen ein und bestehen auf den interreligiösen Dialog, der bei uns bislang gut  funktioniert hat.

Wofür verwenden Sie die rund 8.000,- Euros, die Ihnen die Leser und Leserinnen von „Christen in Not“ für die christlichen Flüchtlingsfamilien gespendet haben?

Zuerst möchte ich mich bei jedem einzelnen CSI-Spender im Namen der bedrängten Landsleute für diese großherzige  Hilfsaktion bedanken. Es kommt den

Spendenübergabbe in Höhe von 10.000 USD

Spendenübergabbe in Höhe von 10.000 USD

derzeit rund 1.300 Flüchtlingsfamilien mit ihren Kindern zugute, die in Damaskus und Umgebung dringend Hilfe zum Überleben benötigen: vor allem ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit. Und für die rund 400 Volksschulkinder, um die wir uns kümmern, hat Mitte September die Schule begonnen. Sie brauchen dringend Schulmaterial. Ihr Leben muss ja weiter gehen…

Was kostet es, ein Kind für den Schulbeginn mit dem Wichtigsten auszustatten?
Mit 7 Euro pro Kind können wir Hefte, Bücher und Schreibmaterial bereitstellen. Wir besorgen ohnehin nur die preisgünstigsten Sachen. (siehe auch letzte Seite)

Wie organisieren Sie die Hilfe generell?
Wir – aktive Priester und freiwillige Helfer – gehen auf christliche Familien zu, wo wir aus erster Hand erfahren, dass sie dringend Hilfe brauchen. Dann versorgen wir sie mit dem Allernötigsten. Es wird alles genau mit Namenslisten und Unterschriften vermerkt.

Wo werden die Familien, die Sie betreuen, untergebracht?
Manche in Privatwohnungen oder bei Verwandten. Andere in kirchlichen Instituten. Wir versuchen sie möglichst bei anderen Familien unterzubringen. Das stärkt den Zusammenhalt. So fühlen sie sich mit ihren Ängsten nicht alleine gelassen.

Suchen auch muslimische Syrer bei Ihnen Zuflucht?
Ja. Einige den Christen gut bekannte Familien suchen Schutz bei ihnen. Derzeit halten sich etwa 5 muslimische Flüchtlingsfamilien in einem christlichen Dorf auf. Dort helfen wir auch gerne, so gut wir können. Das ist für uns ein willkommener Anlass – gerade in der jetzigen Situation – unsere christliche Nächstenliebe zu leben und auch Andersgläubigen weiterzugeben.