Anlässlich der derzeitigen Migrationsbewegungen nach Europa gehen einem viele Gedanken durch den Kopf. Vielleicht lassen sich einige davon teilen.
von Christine Mann (*)
Herz und Kopf gehören zusammen. Zu Recht sind wir von dem, was wir im Zuge der Migrationsbewegung hören und sehen, emotional bewegt. Wir sehen die vielen Einzelschicksale, die erschöpften Menschen, Frauen und Kinder, ihre Situation der Hoffnungslosigkeit, die sie zur Flucht trieben. Das trifft für jene zu, die Asyl suchen und für jene, die aus wirtschaftlichen Gründen zuwandern möchten.
Zugleich empfiehlt sich aber in der Frage der Zuwanderung ein klares rationales Kalkül, was bei diesem Ausmaß an Migration tatsächlich machbar, was den Menschen im Land kommunizierbar und was politisch verträglich ist. Versagt das rationale Denken, bleibt nur noch das Spiel mit Emotionen: mit der Angst, mit dem undefiniertem Unbehagen, mit Furcht vor Kulturverlust und vor zunehmender Fremdheit im eigenen Land.
Der Realität nicht ausweichen. Gebetsmühlenartig werden unterschwellig mediale Beruhigungsbotschaften gesendet: Alle lernen in der zunehmend multireligiösen/multi-kulturellen gesellschaftlichen Situation voneinander und gehen wertschätzend miteinander um. Es gibt bald genügend Arbeitsplätze und Wohnungen für alle, Integration ist machbar.
Wahrscheinlich wäre es ehrlicher, die Menschen gleich darauf vorzubereiten und einzustimmen, was es in der Realität eben auch geben wird: Spannungen zwischen zwei Weltreligionen, die beide unaufgebbar missionarisch sind und einen Wahrheitsanspruch für sich erheben; Verteilungskämpfe auf dem Arbeits-und Wohnungsmarkt; neue Gruppen, die tatsächlich Verlierer sind oder sich als solche fühlen, was auch schon reicht, um gefährliche Aggressionen um uns herum zu entfachen. Die Geschichte lehrt uns, dass es immer zukunftsträchtiger ist, zukommende Probleme von vornherein zu kennen und klar zu benennen, weil man auf diese Weise gemeinsam Lösungsstrategien entwickeln kann.
„Die Zuwanderer müssen sich unseren Wert-vorstellungen unterordnen.“ Die meisten Migranten kommen aus muslimischen Ländern, mit anderen Vorstellungen von Staat und Religion, mit anderen Glaubensüberzeugungen, Sitten und Gebräuchen als wir sie haben. Selbstverständlich sind alle rechtsstaatlichen Eckpfeiler, die demokratischen Grundregeln, wie sie in allen Staaten Europas gelten, von jedem als gegeben anzunehmen, der hier als Asylsuchender oder als Zuwanderer zuzieht. Dazu gehört auch Respekt vor der Kultur der jeweiligen Aufnahmeländer, die in Europa praktisch alle christlich geprägt sind.
Angesichts der Tatsache aber, dass es über hundert gängige Wertdefinitionen gibt und nur wenige Europäer imstande sind, die berühmten „europäischen Werte“ zu benennen oder zu leben, wäre es genau der richtige Zeitpunkt für alle Beteiligten – Christen und Muslime -, eine grundsätzliche Debatte über Werte zu führen und diese neu zu verstehen lernen, ihre Bedeutung in das konkrete Leben hinein zu buchstabieren, die gemeinsamen bewährten Werte der großen Religionen und Weltanschauungen zu leben und sie als Ecksteine in einem Haus zu verwenden, das es neu zu bauen gilt.
(*) CSI-Vorstandsmitglied