Der Salzburger Ostkirchen-Experte Dietmar W. Winkler über den IS-Terror und die Folgen für die christlichen Minderheiten
Die Enthauptung von 21 koptischen Christen aus Ägypten durch den sogenannten „Islamischen Staat“ sei nicht primär als Schlag gegen die Kopten, sondern als Botschaft für den Westen zu verstehen. Das hat der Salzburger Ostkirchen-Experte Dietmar Winkler (s. Bild re.) im folgenden Interview unterstrichen. Zugleich sieht Winkler die Gefahr, dass das Christentum im Nahen Osten dauerhaft ausgelöscht werden könnte.
Die Ermordung der 21 koptischen Christen hat in den vergangenen Tagen zahlreiche Reaktionen auch in kirchlichen Kreisen hervorgerufen. Die Bilder der Ermordung scheinen dabei voller Symbolik: 21 Männer in orangener Sträflingskleidung an einem libyschen Strand, der Blick des Hauptexekutors geht über das Meer Richtung Europa. Welche Nachricht will der „IS“ damit senden?
Winkler: Neu scheint mir in der Tat, dass Christen gezielt herausgegriffen und hingerichtet werden. Dadurch, sowie durch die aufgeladene Symbolik, soll Europa beziehungsweise der Westen insgesamt angegriffen werden. Im Nahen Osten wird ‚der Westen‘ oftmals mit ‚dem Christentum‘ gleichgesetzt bzw. das Christentum als Repräsentant des Westens gesehen. Dabei wird von den Mördern wohl bewusst unterschlagen, dass das Christentum bereits vor dem Islam im Orient ansässig war.
Der Anschlag zielte also nicht bewusst auf die Kopten ab, sondern auf das Christentum und den Westen insgesamt?
Das würde ich so sehen. Ich finde die Reaktion von Papst Franziskus diesbezüglich ganz richtig, der von einer „Ökumene des Blutes“ spricht. Sehr bemerkenswert ist auch die Rede der Terroristen von der „Nation des Kreuzes“. Das ist ein Topos, der gerne vom „IS“ aber auch von Al-Qaida benutzt wird. In ihm klingt eine mittelalterliche Kreuzzugsmetaphorik ebenso mit wie eine Kampfansage an den als Kreuzzügler verstandenen, verhassten Westen.
Der Generalbischof der Koptisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland wirft den ägyptischen Behörden vor, das Hilfegesuch der Kopten nicht beachtet zu haben. Welche Position haben die Kopten in Ägypten?
Die Position der Kopten in der ägyptischen Gesellschaft hat sich in den vergangenen Monaten eigentlich positiv entwickelt. Vor dem Arabischen Frühling, der zum Sturz von Mubarak führte, stellte sich der damalige koptische Papst betont hinter Mubarak – aus Angst vor einem destabilisierten Land nach der Ära Mubarak und einer entsprechend unsicheren Situation für die koptische Minderheit. So kam es ja auch dann tatsächlich, als die Muslimbrüder an die Macht kamen. Nach dem erneuten Machtwechsel hat sich die Situation der Kopten in Ägypten wieder normalisiert – auch wenn die Politik von Abd al-Fattah al-Sisi im Blick auf die religiösen Minderheiten noch nicht eindeutig ist. Er scheint auf Reformen abzuzielen – allerdings wohl vor allem wirtschaftliche und politische Reformen ohne demokratische Einbindung der Öffentlichkeit.
Muss angesichts der anhaltenden Flüchtlingsströme aus den IS-kontrollierten Gebieten mit der dauerhaften Auslöschung des Christentums in diesen Regionen gerechnet werden?
Das ist durchaus möglich. Prinzipiell ist der Impuls zur Flucht vor den Entwicklungen im Irak und Syrien natürlich mehr als nachvollziehbar. Oft wird den Christen von den IS-Milizen nur ein Tag Zeit eingeräumt, um ihre Häuser zu räumen und das Land zu verlassen. Ansonsten droht ihnen der Tod. Wenn die Lage unsicher bleibt und eine Rückkehr für die Christen nicht in absehbarer Zeit möglich ist, besteht die Gefahr, dass die eigenen religiösen Wurzeln zusehends schwinden. Es ist nicht leicht, in der Diaspora die eigene religiöse Identität zu bewahren. Es gibt einen Integrations- und Inkulturationsdruck, der auch vor religiösen Wurzeln und Traditionen nicht Halt macht. Das wird dann der eigentlich entscheidende Punkt für das Christentum im Nahen Osten sein: Wenn einmal kein Kloster oder keine Christen mehr vor Ort sind, kann das Christentum im Westen in dieser Form nicht weitergelebt werden. (Auszug aus einem Kathpress-Interview vom 20.2.2015)