Maria Saadeh, eine christliche Abgeordnete im syrischen Parlament, nimmt offen Stellung zur derzeitigen Lage der Christen in ihrem Land
„Mir ist wichtig, zu betonen, dass ich als Abgeordnete nicht nur die Christen repräsentiere, sondern auch die Muslime und die verschiedenen Teile des syrischen Bevölkerungsmosaiks. Was die Christen derzeit durchmachen, ist dasselbe, was auch das ganze Volk durchmacht. Allerdings sind seit einiger Zeit die Christen speziell ins Visier bestimmter Gruppen geraten. Da werden dezidiert christliche Dörfer bzw. Wohnviertel unter Beschuss genommen, Kirchen profaniert, christliche Schulen zerstört und Ordensleute verschleppt – das alles mit einer wilden Gewalt. Wer das tut, der hat nicht unbedingt speziell etwas gegen Christen, sondern will das von mir gerade erwähnte bunte Bevölkerungsmosaik vernichten. Dieser Krieg richtet sich gegen unseren Staat, den letzten noch bestehenden säkularen Staat im ganzen Nahen Osten. Die christlichen Bewohner in die Emigration zu zwingen, gehört zum Versuch, Syrien in einen islamischen Staat zu verwandeln, der auf die Religion gegründet ist.“
Wer hat denn ein Interesse daran, das soziale Gewebe Syriens zu zerschneiden?
„Da gibt es viele Kräfte in der Region rund um Syrien. Unser Land ist reich an Bodenschätzen. Wer diese unter seine Kontrolle bringt, wird zu einem wichtigen Player auf der internationalen Bühne. Darum waren
gleich Kräfte in der Region zur Stelle, um einen Konflikt auszunutzen, der innerhalb der Syrer entstanden war. Interne Rebellengruppen wurden (und werden heute noch, Anm.) vor allem von Saudi-Arabien und der Türkei ausgerüstet und finanziert. Die Europäer hingegen haben ihre diplomatischen Kontakte zum syrischen Staat abreißen lassen, was für uns ein Riesenproblem ist. Außerdem unterstützt der Westen eine Opposition, die es nur im Westen gibt und nicht in Syrien selbst. Wer den syrischen Staat isoliert, der spielt den Gruppen in die Hände, die ihre Angriffe und ihre Gewalt erhöht haben. Und er hört auch nur noch einen Teil der Wahrheit über das, was im Land vorgeht.“
Der Westen hat aber auch nicht eingegriffen…
„Er hat aber auch nichts Ernsthaftes getan, um den Krieg zu beenden! Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich die Gelegenheit hatte, neulich mit dem Papst über Syrien zu sprechen. Ich habe ihn gebeten, wirklich alles zu tun, um auf die Länder einzuwirken, die das Morden in Syrien weiter finanzieren. Die Gewalt hat längst jedes erträgliche Maß überschritten: Viele Kinder wurden in den Schulen vor unseren Augen getötet – damit wird Druck auf die Eltern gemacht, ihre jeweiligen Städte zu verlassen. Das passiert vor allem an Schulen in christlichen Wohnvierteln; dahinter steckt System.“
Wie beurteilen Sie die Haltung Russlands im Syrien-Konflikt?
„Russland bezieht eine klare Position gegen die Gewalt. Es hat sich auch im UNO-Sicherheitsrat von Anfang an gegen jede ausländische Einmischung in den Konflikt gewehrt. Wir wissen natürlich, dass auch Russland bestimmte Interessen verfolgt – aber wenigstens hat es ganz klar die syrische Souveränität respektiert! Jeder, der im Ausland eine Absetzung von Präsident Assad verlangt, beleidigt aus meiner Sicht die Syrer und verletzt ihre Souveränität. Hier geht es um eine interne Angelegenheit, die nur wir Syrer – mittels Wahlen – entscheiden können. Es beleidigt mich auch, wenn Länder sich eine oppositionelle Gruppe aussuchen und bestimmen: So, das ist jetzt für uns die einzige legitime Vertretung der syrischen Gesellschaft!“
Welche Erwartungen haben Sie an die Friedenskonferenz von Genf, das sogenannte „Genf II“?
„Für die Syrer heißt im Moment die klare Priorität: Schluss mit der Gewalt! Das würde voraussetzen, dass man die Verantwortlichen einlädt, die diese Gruppen, welche in Syrien operieren, kontrollieren. Von diesen vom Westen produzierten Figuren, die in 5-Sterne-Hotels residieren, kontrolliert doch keiner die bewaffneten Gruppen in Syrien! Wenn es hingegen darum gehen sollte, die Regierung zu stürzen (an der übrigens die Opposition derzeit beteiligt ist!), dann würde das die innere Lage in Syrien noch komplizierter machen.“
(Radio Vatikan/sk)