Uwe Heimowski war in der vergangenen Woche als Politik-Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz im Nordirak unterwegs. Dort hat er mit Christen gesprochen, die sich nach wie vor nicht sicher fühlen, aber auch Hoffnungszeichen gesehen.
pro: Wo im Irak waren Sie in der vergangenen Woche unterwegs und warum?
Uwe Heimowski: Um mir ein Bild davon zu machen, wie es den Christen und Jesiden im Nordirak geht, bin ich gemeinsam mit dem Vertreter einer anderen Organisation, David Müller von der christlichen Ojcos-Stiftung in den Irak gereist. Wir haben uns in den Städten Erbil und Dohuk in Kurdistan und in der Ninive-Ebene aufgehalten. Nach Mossul sind wir nicht gefahren, da ist die Lage nach wie vor zu unsicher und gefährlich. Derzeit werden die Städte und Dörfer außerhalb Kurdistans jeweils von einer eigenen Miliz kontrolliert, die wiederum der Zentralregierung des Irak untersteht. Die Milizen können zum Beispiel christlich oder schiitisch sein. Sie beschützen dann die jeweilige Region. Das ist ein sehr fragiles Gebilde. In die Gegend um die christliche Stadt Kirkuk in der Ninive-Ebene kehren jetzt langsam die ersten Menschen zurück, Kirchen werden wieder genutzt und neue Häuser gebaut. Das christliche Leben beginnt dort nach dem Rückzug des Islamischen Staates (IS) von Neuem.
Haben Sie sich sicher gefühlt?
Wir haben uns immer dann besonders sicher gefühlt, wenn wir von offiziellen Würdenträgern der Kirche begleitet wurden. Sowohl die kurdische Regierung als auch die Milizen haben hohen Respekt vor ihnen. Auch, weil sie wissen, dass über die Kirchen viele Entwicklungsgelder ins Land kommen, die dazu beitragen, dass zum Beispiel zerstörte Häuser wieder aufgebaut werden. Am Wochenende gab es Aufstände und Unruhen im Südirak. Die Nationalregierung hat dann zunächst alle sozialen Netzwerke geblockt und schließlich das Internet als Ganzes abgeschaltet. Das zeigt: Die Gesamtlage im Irak ist sehr brüchig. Viele Menschen fürchten sich davor, dass sich einzelne Gruppen erneut radikalisieren. Auch deshalb legen sie Wert darauf, dass ihre Dörfer nicht religiös gemischt sind, sondern möglichst homogen. Letzten Endes fürchten sich auch viele davor, dass Schläfer des IS erneut Menschen anwerben könnten. Niemand weiß genau, wer und was da im Untergrund noch schlummert.
Wie sind die Menschen im Nordirak Ihnen begegnet?
Sehr positiv. Vor allem Christen, aber gerade auch die Kurden haben sich sehr dankbar dafür gezeigt, dass die deutsche Regierung 2014 entschieden hat, die Peschmerga, also die Streitkräfte Kurdistans, zur Selbstverteidigung zu bewaffnen. Das war eine umstrittene Entscheidung und es ist bis heute einmalig, dass Deutschland Waffen in ein Kriegsgebiet liefert. Viele Kurden und Jesiden, die ich getroffen habe, sagten mir, sie hätten sich ohne diese Lieferungen nicht gegen den IS verteidigen können.
Wie geht es den Christen im Nordirak heute?
Die Kirchen und Kirchenleiter sind sehr engagiert und versuchen so gut wie möglich, Anreize zu schaffen, damit die Menschen zurückkehren. Sie helfen bei Existenzgründungen und beim Wiederaufbau. Sie wollen ihre christliche Identität und das christliche Erbe im Nordirak erhalten und fördern. Wer aber mit den ganz normalen Menschen vor Ort spricht, spürt schnell, dass sie sich nicht sicher fühlen, dass sie eigentlich weg wollen. So gut wie jeder hat dort mittlerweile Verwandte oder Freunde, die ins Ausland gegangen sind. Die meisten wollen ihnen folgen. Sie haben Angst. Jeder, der eine Chance hat, zu gehen, geht.
Wovor fürchten sich die Christen im Nordirak, nun, da der IS vertrieben wurde?
Die Hauptgefahr liegt darin, dass die Menschen Zankapfel der Staaten sind, die sich in die Politik des Irak einmischen. Da gibt es Schiiten, die aus dem Iran unterstützt werden, die Türkei kämpft im Norden immer wieder gegen die Kurden, es gibt Sunniten, die Hilfe aus Saudi-Arabien bekommen. Die Iraker fürchten, dass ihr Land zunehmend ein Spielball der Mächte wird. Das würde für die Christen vor allem dann zum Problem, wenn irgendwann wieder eine radikalere muslimische Gruppe zum Kampf aufriefe. Dann ginge alles von vorne los. Gerade die Ninive-Ebene ist eine Art Puffer zwischen Kurdistan und dem muslimischen Rest des Irak. Käme es zu Auseinandersetzungen, wäre das verheerend für die Menschen dort. Deshalb wünschen sie sich NGOs und politische Vertreter, die gezielt dort aktiv werden und auch Repräsentanzen dort eröffnen, um die Region zu stärken und durch ihre Anwesenheit Angriffe weniger wahrscheinlich machen. Die Menschen dort sagen: Ohne ausländische Hilfe können wir hier nicht bestehen.
Was wünschen sich die Christen im Irak sonst noch konkret von Deutschland?
Politisch eine Unterstützung der Kurden, denn das bringt ihnen Sicherheit. Dann weitere institutionelle Hilfe vor Ort durch Gelder aus der Entwicklungshilfe und von NGOs. Eine Förderung der Ninive-Ebene, vielleicht sogar durch eine Art politische Selbstverwaltung. Viele haben uns auch gesagt, dass sie sich wünschten, innerhalb Deutschlands würde härter gegen radikale Muslime vorgegangen. Denn die Symbolwirkung dessen strahle bis in den Irak. Die Menschen sagten uns auch: Habt einen Blick nicht nur für die Konvertiten, die vom Islam übertreten, sondern auch für die Christen, die hier schon seit Jahrzehnten als Christen leben. Denn auch die sind in Gefahr. In Mosul etwa gibt es keine Christen mehr. Dabei ist hier eine der Wiegen des Christentums. Und immer wieder kommen diese beiden Bitten: „Vergesst uns nicht und betet für uns.“
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Anna Lutz vom Christlichen Medienmagazin pro