Wir veröffentlichen ein Interview, das CSI-Sprecherin Pia de Simony mit dem koptischen Jesuitenpater Prof. Samir Khalil Samir am Rande der ICO-Jahrestagung (*) in Salzburg im vergangenen Herbst geführt hat.
Was vereint Christen und Muslime in Ihrem Ursprungsland Ägypten?
P. Samir: Wir Christen sind genauso Araber wie unsere muslimischen Nachbarn, weil „Araber“ kein ethnischer, sondern ein kultureller Begriff ist. Seit 14 Jahrhunderten haben wir eine gemeinsame Geschichte. Das kann man nicht einfach so vom Tisch wischen…
Glauben Sie noch an eine Zukunft der Christen im Nahen Osten bzw. in Ägypten?
Selbstverständlich, auch wenn es ein steiniger Weg sein wird! Wir Kopten gehören zur ägyptischen Urkultur. Die nächsten Jahre werden für uns nicht leicht sein, doch es ist notwendig, daß die einheimischen Christen gerade jetzt – vor allem seit der Absetzung des Präsidenten Mursi – mehr denn je aktiv am Aufbau einer Zivilgesellschaft mitwirken sollten und nicht den Weg der Emigration wählen. Sonst könnte unser Land rasch in den islamischen Fundamentalismus abgleiten…
Ist das ägyptische Volk schon reif für diesen mühsamen Erneuerungsprozess, wenn man bedenkt, dass heute noch rund 40 % der Bevölkerung weder lesen noch schreiben kann?
Viele aus dem Volk sind während des sog. „arabischen Frühlings“ aufgewacht und mit den Studenten auf die Strasse gegangen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Immerhin haben im vergangenen Sommer 22 Millionen Ägypter eine Petition für die Absetzung Mursis unterschrieben, d.h. auch für eine neue Verfassung, an deren Ausarbeitung nun Muslime ebenso wie Kopten beteiligt sind.
Woraus schöpfen Sie Hoffnung, dass es nun in Ihrem Land nicht nur auf dem Papier bergauf gehen wird?
Ich stehe u.a. in engem Kontakt mit angehenden jungen Imamen, die ich über das Christentum unterrichte. Da das arabische Wort für Lernen im ägyptischen Dialekt „Auswendig-Lernen“ bedeutet, versuche ich ihnen auch das kritische Hinterfragen beizubringen. Eine herausfordernde Aufgabe, die aber in ihren Köpfen viel bewirken kann. Der Mangel an selbständigem Denken ist in Ägypten generell ein großes Problem. Das ist gefährlich: Es führt zu einer unmündigen Gesellschaft. Daher ist die Erziehung zur Eigenständigkeit für die Zukunft Ägyptens von kapitaler Bedeutung!
Gibt es moderate ägyptische Muslime, die sich wohl eine Zivilgesellschaft herbeisehnen?
Genug! Viele orientieren sich am Beispiel Libanon. Alle gesellschaftlich- relevanten Gruppen sind da aktiv im Einsatz. Dort herrscht schon eine gewisse Demokratie und es gibt keine besondere Zensur. In Ägypten wünsche ich mir dringend eine vertiefende Diskussion über die Menschenrechte, die noch gewaltig mit Füßen getreten werden. Besonders die Kopten, wie wir wissen, sind die Leidtragenden. Doch das ist ein Thema für sich. Darauf werden wir näher eingehen – und auch über die neue Verfassung sprechen, die ein Lichtblick am Ende des Tunnels darstellen könnte – wenn ich anlässlich des CSI-Schweigemarsches für verfolgte Christen im Mai wieder nach Österreich komme!
(*) ICO=Initiative Christlicher Orient
Zu seiner Person:
Prof. P. Samir Khalil Samir SJ, geb. 1938 in Kairo, 1955 Eintritt in den Jesuitenorden; Doktorate der Theologie und Islamwissenschaften; Professor am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom und an der St. Joseph Universität in Beirut. Im libanesischen Maqasid-Institut unterrichtet er auch auszubildende Imame über das Christentum. Schwerpunkt seiner wiss. Arbeit sind u.a. Beziehungen zw. Christentum und Islam. Er ist Autor von rund 40 Büchern (u.a. „100 Fragen zum Islam: Warum wir die Muslime nicht fürchten müssen“ – Interviews mit Giorgio Paolucci und Camille Eid (Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2009).