Mit dem Angriff auf die Kathedrale nach dem Begräbnisgottesdienst für vier Opfer der islamistischen Gewalt wurde eine „unantastbare Schwelle“ überschritten  

Kairo, 09.04.13 – Die Attacke auf die koptisch-orthodoxe Markuskathedrale in Kairo am Sonntag hat ein zweites Todesopfer gefordert, außerdem sind 89 Verletzte zu beklagen. Darüberhinaus hat der Angriff auf Trauernde, die am Begräbnisgottesdienst für vier am Freitagabend in der Stadt Al-Khosos im nördlichen Umland Kairos ermordete Kopten teilgenommen hatten,  zu einer dramatischen Verschlechterung des ohnehin gespannten Verhältnisses zwischen den koptischen Christen und den neuen islamistischen Machthabern Ägyptens geführt. Daran konnte auch ein Telefongespräch zwischen Präsident Mursi und Papst-Patriarch Tawadros II. nichts ändern, bei dem der Staatschef versicherte: „Jeden Angriff auf die Markuskathedrale empfinde ich als persönlichen Angriff auf mich“. Der Schutz aller Bürger, „ganz gleich ob sie Muslime oder Christen sind“, gehöre zu den Pflichten des Staates. Der Patriarch selbst erklärte, die Attacke auf die Kathedrale sei ein „schwerwiegender Vorfall ohnegleichen“, trotzdem müsse man „Ruhe bewahren“ und sich um die Sicherheit des Landes und die nationale Einheit bemühen. Tawadros II. hatte noch während der stundenlangen Auseinandersetzungen  mehrfach zu „Zurückhaltung und Weisheit“ aufgerufen. Zugleich nahm er direkten Kontakt mit dem Innenminister auf. Der koptische „Jugend-Bischof“ Moussa teilte am Montag via Facebook mit, dass der Patriarch weiterhin in ständigem Kontakt mit der Regierung und besonders mit dem Innenministerium sei, um möglichst rasch einen Ausweg aus der kritischen Lage zu finden. Der neue ökumenische Rat der Kirchen Ägyptens stellte fest, dass die Christen des Landes im Hinblick auf die dramatischen Vorgänge um die Markuskathedrale „vom Staat und von der Polizei“ schwer enttäuscht seien. Mit dem Angriff auf die Kathedrale sei eine „unantastbare Schwelle“ überschritten worden. Der anglikanische Bischof Mounir Hanna erklärte, die ständigen Aggressionen gegen Kirchen würden Ägypten in einen „Abgrund“ stürzen. Der Großimam der Al Azhar-Universität, Ahmed al.-Tayyeb, verurteilte die Attacken auf die Kathedrale und erklärte, es sei eine „religiöse und nationale Pflicht“, Ägypten vor der Gewalt und dem Hass zu schützen, weil „das Blut aller Ägypter kostbar“ sei.

Am Montag verlangte Papst-Patriarch Tawadros II. energisch eine umfassende Untersuchung der Attacken auf die Markuskathedrale. 13 politische Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen forderten den Rücktritt von Innenminister Mohammed Ibrahim und kündigten zugleich einen Protestmarsch zum Gedenken an die Ereignisse vor der Markuskathedrale an. Mohammed El-Baradei, der gescheiterte Präsidentschaftskandidat und Führer der Destur-Partei, erklärte, er entschuldige sich persönlich bei jedem Kopten in Ägypten, weil das Land nicht im Stande sei, die Christen wirksam zu schützen.

Gespanntes Verhältnis zwischen koptischen Christen und islamistischen Machthabern dramatisch verschlechtert

Nach Augenzeugenberichten war es zu den Angriffen auf die christlichen Gläubigen vor der Markuskathedrale am Sonntag genau in dem Moment gekommen (um 18.50 Uhr), als nach dem Begräbnisgottesdienst die Särge der vier Opfer von Al-Khosos in die Leichenwagen verladen wurden. „Bärtige Radikale“ hätten Steine und Molotowcocktails auf die Gläubigen geworfen, die wenigen anwesenden Polizisten seien „dabei gestanden“ und hätten „nichts getan“; auch spät eintreffende Verstärkungen hätten sich in erster Linie auf den Schutz der Islamisten konzentriert, zitierte die Nachrichtenagentur „Catholic World News“ einen kirchlichen Mitarbeiter. Andere Augenzeugen berichteten von Heckenschützen, die auf den Dächern umliegender Gebäude postiert waren und von dort das Bombardement mit Steinen und Molotowcocktails starteten. Die Auseinandersetzungen zwischen Islamisten, Kopten und Polizisten dauerten stundenlang und konnten erst nach massivem Tränengaseinsatz unter Kontrolle gebracht werden. Festgenommen wurden elf Personen.

Was die Kopten besonders erbittert, ist die Behauptung des Innenministeriums, einige Trauergäste hätten nach dem Verlassen der Kathedrale zu randalieren begonnen und dabei parkende Autos beschädigt, was zu einer Konfrontation mit den Bewohnern der umliegenden Häuser geführt habe. Vertreter koptischer Jugendorganisationen betonten, dass sie nicht mit den Auseinandersetzungen angefangen hätten, sondern vielmehr die Opfer gewesen seien. Nach Angaben von Zeugen sangen die Jugendlichen „Mit unserem Blut treten wir für das Kreuz ein“. Während des Begräbnisgottesdienstes hatte es auch Sprechchöre gegen die islamistischen Politiker und den Präsidenten gegeben, weil sie nicht imstande oder willens seien, die Sicherheit der Kopten zu garantieren.

Unruhe im ganzen Land

Begonnen hatte alles am Freitag, 5. April, in den Abendstunden in Al-Khosos. Hintergrund der Auseinandersetzungen war ein rund drei Monate dauernder Streit zwischen einer muslimischen und einer christlichen Familie. Dieser Streit konnte zwar beigelegt werden, aber zu Beginn der Vorwoche beleidigte eine Gruppe von Salafisten die Mädchen aus der christlichen Familie. Dann wurden Gerüchte gestreut, dass christliche Jugendliche ein Kreuz auf die Wand einer Moschee gemalt hätten. Am Freitag hielten dann die Imame einiger Moscheen in der kleinen Stadt Hasspredigten gegen die Christen und die Kirche. „Sie stachelten beim Freitagsgebet die Leute auf“, zitierte die katholische Nachrichtenagentur „AsiaNews“ den Pfarrer der Georgskirche von Al-Khosos, Pater Suriel Younan. Gruppen von Maskierten steckten daraufhin den Kindergarten der Georgskirche, ein anglikanisches Gotteshaus sowie Geschäfte und Häuser von Christen in Brand. Vier junge Christen – Marzuk Atteya, Markos Kamal, Victor Makarios und Issam Zakhary – fielen Projektilen aus automatischen Waffen zum Opfer, auch ein junger Muslim wurde getötet.

Die Untersuchungen über die Vorgänge in Al-Khosos – die sich tief in die Nacht zum Samstag hinzogen, auch am Sonntag gab es immer wieder handgreifliche Auseinandersetzungen – sind noch im Gang. Der Polizeichef der Stadt stellte aber bereits die Geschichte mit dem angeblich von christlichen Jugendlichen an eine Moscheewand gemalten Kreuz klar. Tatsächlich hätten zwei muslimische Jugendliche an die Moscheewand Hakenkreuze gemalt, worauf sie auch vom zuständigen Imam zur Rede gestellt worden seien. Pater Younan berichtete der Assyrischen Nachrichtenagentur AINA, dass er gemeinsam mit einem anderen Priester und rund 50 weiteren Christen stundenlang in der von Salafisten belagerten Kirche eingeschlossen war: „Es war, wie wenn ein Krieg ausgebrochen wäre. Wir sahen die vier jungen Christen vor der Kirchentür in ihrem Blut liegen und Familien, die sich verzweifelt bemühten, verletzte Angehörige in Sicherheit zu bringen“. Die Polizei sei mit zwei Stunden Verspätung  eingetroffen, die Truppen des Innenministeriums gar erst nach fünf  Stunden. Auch am Montagmorgen kam es zu einer neuerlichen Attacke auf das Pfarrhaus der Georgskirche; die Attacke ging auf das Konto von muslimischen Nachbarn, konnte aber abgewehrt werden.

Für die Ausschreitungen gibt es mehrere Erklärungsmuster. Eines besagt, dass in Al-Khosos wieder einmal ein „Zwischenfall“ inszeniert worden sei, um die Demonstrationen im Land „zuzudecken“. Der frühere Parlamentsabgeordnete Mohammed Abu Hamed meinte dazu, es dürfe einfach nicht sein, dass jedes Mal, „wenn die Regierung ihr Versagen zudecken will“, die Kopten attackiert und ihre Kirchen angezündet werden. Ein anderes Erklärungsmuster bezieht sich darauf, dass Al-Khosos von der Krise der Müllbeseitigung im Großraum von Kairo besonders betroffen ist. Seit die ägyptischen Behörden im Jahr 2009 aus nicht durchsichtigen Gründen die Schlachtung sämtlicher Schweine der koptischen Müllsammler anordneten, funktioniert die früher kleingewerblich, aber effizient betriebene Müllbeseitigung nicht mehr. (poi)