Der lange Leidensweg der irakischen Flüchtlinge in Kurdistan

von Pia de Simony vor Ort

„Meine beiden Geschwister wurden bei der Arbeit in einem Restaurant in Baghdad erschossen. Mich haben die Terroristen wie durch ein Wunder unter

Elias B., Überlebender eines Attentats

Elias B., Überlebender eines Attentats

demTisch nicht erwischt“, erzählt der 35jährige Busfahrer Elias Bassam verlegen, sein Blick auf den Boden gesenkt. Nach diesem Blutbad war ihm klar: nichts wie weg von dieser Stadt, die nach dem Sturz Präsident Saddams 2003 durch gezielte Attentate auch gegen Christen nunmehr ein explosives Pulverfass geworden war.  Wie er sind ebenso  George und Nawal von der irakischen Hauptstadt in das sicherere Kurdistan im Norden des Landes geflohen. Das Ehepaar hat seine Kinder, Biologie- und Pharmazie-Studenten, von heute auf morgen durch eine Autobombe verloren: „Die Täter hat man bis heute noch nicht gefasst“, sagt der 67-jährige Vater verbittert. Das sind nur zwei von vielen tragischen Schicksalen, die etliche christliche Familien in ihrem von Krieg und Terror heimgesuchten Land hautnah erleiden mussten.

„Heute werden wir von mehreren Despoten regiert!“
Rund 1.000 Christen fielen in den vergangenen zehn Jahren blutigen Anschlägen radikaler islamischer Gruppen  zum Opfer. Gab es unter der Regierungszeit Saddams noch ca. 800.000 Christen,  hat inzwischen bereits die Hälfte von ihnen dem Irak endgültig den Rücken gekehrt. Die meisten der Hinterbliebenen haben in den islamischen Hochburgen Baghdad oder Mossul ihr Hab und Gut so gut es ging verkauft und versuchen nun, sich im kurdischen Norden eine neue Existenz aufzubauen. Die dortige autonome Region sorgt nun zwar mit ihrer effizienten Miliz für ihre Sicherheit und für ein Dach über dem Kopf. Doch in den eher kleinen und entlegenen Ortschaften im Hügelland gibt es keine angemessene Infrastruktur, geschweige denn geeignete Arbeitsplätze, oft nicht einmal Internetzugang für die Jungen. Die meisten von ihnen fühlen sich entwurzelt, vom Rest der Welt isoliert. Wie etwa im Dorf Fishkhabour, wo der breite Fluß Tigris den Irak von Syrien trennt – um nur eine der vielen zerstörten Ortschaften zu nennen, die Anfang der 70er Jahre vor den Massakern zwischen Saddams Truppen und den kurdischen Rebellen noch rein christlich waren. Auf die Frage, ob das Leben unter Saddams Führung erträglicher war als jetzt antworteten viele kultivierte Flüchtlinge – egal ob chaldäischer oder syrisch-orthodoxer Herkunft – hinter vorgehaltener Hand: „Früher standen wir unter der Fuchtel eines Despoten, heute werden wir von mehreren Diktatoren regiert!“

28 christliche Geschäfte in Brand gesteckt
In diesem Bruderkrieg haben auch Schiiten und Sunniten gleichermaßen zu leiden. Um dem Blutvergießen ein Ende zu setzen, machen sich inzwischen viele Politiker für eine Dreiteilung des Landes stark, wonach der Norden den Kurden und Christen zugesprochen würde, der mittlere Teil des Landes den Sunniten und der Süden den Schiiten. Dies könnte durchaus bald Realität werden, munkelt man in höheren Regierungskreisen. Ob das wirklich auch den Christen zugute käme, ihnen in Kurdistan Hoffnung auf eine bessere Zukunft erwächst? In der Provinz Zakho-Duhok, an der Grenze zur Türkei, stehen viele einheimische Christen heute noch unter Schock: In einer Nacht- und Nebelaktion haben erst im vergangenen Dezember kurdische Sunniten  28  ihrer Geschäfte angezündet. „Die Polizei kam erst nach neun Stunden, als mein Laden schon abgebrannt war!“, erklärt Daniel S., der namentlich nicht genannt werden will, und zeigt auf seinem Handy die Fotos von den lodernden Flammen.

Als er auf dem Heimweg im Auto alleine war, las er eine schriftliche Mitteilung der anonymen Brandstifter laut vor: „Diesmal haben wir Eure Läden in Brand gesteckt, nächstes Mal seid ihr dran!“. Die kurdische Regionalregierung hat den betroffenen Familien eine Abfindungssumme zugesichert – dies beteuerte auch deren Außenminister Falah Mustafa kürzlich in Wien auf Staatsbesuch – doch die Geschädigten glauben nicht mehr so recht den leeren Versprechungen der Obrigkeit. Die Beziehungen zwischen Kurden und Christen könnte man als „vorsichtig“ bezeichnen. Letztere wollen möglichst wenig auffallen, damit ihnen nicht auch noch die elementarste  Lebensgrundlage entzogen wird. Es ist ein paralleles Nebeneinander, kein Miteinander. Das fängt schon mit den Sprachbarrieren an: In kurdischen Staatsschulen wird nur auf Kurdisch gelehrt, während die aus Baghdad und Umgebung kommenden Kinder Unterricht auf Arabisch und Englisch hatten.

Die mutigen Nonnen von Mossul
Nichtsdestotrotz gibt es nach wie vor mutige Christen, die nicht im Geringsten an Emigration denken. Schwester Sanaa etwa, die noch mit weiteren achtfurchtlosen Nonnen in der früher christlich geprägten – inzwischen islamisch gewordenen – Millionenstadt Mossul die lebensgefährliche Stellung in ihrem

Sr. May und Sr. Sanaa: Ein unbequemes Leben im Dienste der Notleidenden

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Kloster hält, sich um kränkliche alte Frauen kümmert, deren erwachsene Kinder längst ins Ausland ausgewandert sind. Sie hat mit Bischof Rahho und Pfarrer Ghanni studiert und gearbeitet. Beide Kollegen wurden in den letzten Jahren in ihrer unmittelbaren Nähe von islamischen Fundamentalisten entführt und erschossen. Mitschwester May verließ daraufhin dieses heiße Pflaster und zog ins ruhigere Bergdorf Mangesh, eine Autostunde von Zakho entfernt. Geschulte Sacré-Coeur-Nonnen sind dort sehr gefragt für die Herzensbildung der christlichen Kinder, doch rar. Eine aufopfernde, kraftverzehrende Rolle. Nun betreut sie 14 christliche Dörfer in der Umgebung. Dank österreichischer Spenden ist ihr Traum wahr geworden: ein Schulbus für den Transport der Kinder, die sonst völlig vom Unterricht abgeschnitten wären. Ein kostbarer Tropfen auf den heißen Stein, ein Lichtstrahl am Ende des Tunnels.

Der Glaube kann Berge versetzen

Seminaristen in Ankawa bereiten sich auf ihre heikle Priesterrolle vor

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Auch Fadi Lion, der junge Rektor des Priesterseminars von Erbil-Ankawa, gibt nicht auf. „Allen Widerständen zum Trotz glaube ich an eine Zukunft der Christen in unserem Land: Wir können gemeinsam leiden und es mit vereinten Kräften schaffen“. Mit „gemeinsam“ meint er die 22 Seminaristen, die sich alle der Gefahren der künftigen Ausübung ihrer Berufung wohl bewusst sind. Einer von ihnen, der 24jährige Hans Shimon (li. im Bild), ist überzeugt: „Sollte man mich eines Tages nach Bagdhad versetzen, wird die positive Kraft, die ich aus dem Glauben schöpfe, zweifellos die Oberhand gewinnen!“