Aleppo –  „Die Situation ist äußerst kritisch, die Leute haben große Angst.“ Dies betonte der lateinische Apostolische Vikar von Aleppo, Bischof Georges Abou Khazen, im Gespräch mit der katholischen Nachrichtenagentur „AsiaNews“. In allen Teilen Aleppos würden die Menschen – Christen wie Muslime – ständig für den Frieden beten, so der Oberhirte.

 © Lens Homsi

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„AsiaNews“ erinnert daran, dass der Kampf um die Herrschaft über Aleppo für den Ausgang des syrischen Krieges als entscheidend betrachtet wird. Die Stadt – einst Wirtschaftsmetropole und zweitgrößte Stadt Syriens – sei de facto geteilt, wobei der Ostteil in der Hand von „Rebellen“ sei, von denen die meisten dem islamistischen Spektrum zuzurechnen sind. Ihre Bewaffnung sei von westlichen Mächten, von der Türkei und den Golfstaaten angeliefert worden. Das Schicksal des Landes befände sich in den „Händen der Großmächte.“

Aleppo wird von „Bomben und Lügen“ heimgesucht
Am schärfsten mit den Weltmächten ins Gericht geht Jean-Clément Jeanbart, melkitischer Erzbischof von Aleppo: Seine Stadt werde von „Bomben und Lügen“ heimgesucht. “Wir leben unter der ständigen Bedrohung durch Bomben und Raketen. Wir können – vor allem im von Regierungstruppen kontrollierten Westen der Stadt – keine Nacht ruhig schlafen, weil immer wieder aus dem Ostteil abgefeuerte Granaten explodieren. Die Syrer möchten nur Dialog und Frieden. Aber das wollen die großen Staaten nicht, die hinter unserem Rücken unser Land und unsere Gesellschaft zerstören. Die sind nur interessiert an Erdöl, Erdgas, Wasser, Territorium, um ihre Macht und ihren Einfluss zu vermehren, vor allem die Amerikaner und die Russen. Wir zahlen für den Egoismus der großen Staaten, die noch dazu behaupten, christlich zu sein.“

Hilfeschrei der Karmelitinnen
Auch von den Karmelitinnen von Aleppo kam ein verzweifelter Hilfeschrei. „Die einzige Wahrheit, die wir sicher wissen, ist, dass die Leute hier leiden und sterben“, sagte Schwester Anne-Francoise verbittert einigen christlichen Hilfswerken gegenüber.   Das Karmelkloster steht am Stadtrand in einer Kampfzone. Als die syrische Armee die Dschihadisten am Vormarsch in die Stadt hindern wollte, wurde auch das Kloster Ziel von Granatenangriffen. „Gott sei Dank wurde unser Haus nicht getroffen, aber seither hören wir ständig die Geschosse über uns hinwegzischen“, so die engagierte Nonne. Die Karmelitinnen – vier Syrerinnen und zwei Französinnen – haben in einem Nebengebäude obdachlos gewordene Familien aufgenommen, außerdem helfen sie auch anderen Familien mit ihren beschränkten Mitteln: „Jetzt sind nur mehr die ganz Armen in unserer Gegend. So viele Christen haben die Stadt in den Jahren des Krieges verlassen. Wir haben kein Wasser, keine Elektrizität.“ Obwohl auch sie Angst haben, sind die Schwestern fest entschlossen, in ihrem Kloster zu bleiben: „Wie könnten wir auch die armen Leute verlassen, die sich an uns gewandt haben? Das Zeugnis unserer Anwesenheit ist wichtig für sie. Durch das Gebet kommt uns Kraft und Mut zu, das ist unser Schutz“.

2011 gab es in Aleppo noch 200.000 Christen, heute sind es nur noch ein Fünftel davon

Schwester Anne-Francoise hofft, dass nicht noch mehr christliche Familien Aleppo verlassen. 2011 habe es noch 200.000 Christen in der Stadt gegeben, jetzt seien es nur mehr 40.000.  „Der Nahe Osten, die Heimat Jesu, ist in Gefahr, seine Christen zu verlieren. Das ist undenkbar, die Situation ist wirklich schrecklich. Auch für die, die weggehen, ist die Krise nicht zu Ende. Sie sind entwurzelt, manchmal verlieren sie sogar ihre spirituellen Wurzeln“, so die besorgte Karmelitin. Ihr Appell an die Christen in aller Welt: „Bitte vergesst uns nicht. Wir brauchen euer Gebet und eure praktische Hilfe“.

 „Die Stadt erlebt derzeit den dunkelsten Moment ihrer Geschichte“
Auch die katholische Gemeinschaft Sant’Egidio in Rom hat einen dramatischen Appell für Aleppo veröffentlicht: „Aleppo ist erschöpft. Es muss sofort einen Waffenstillstand geben, um die Bewohner – vor allem die Schwächsten, die Kranken, die Kinder – von einer doppelten Belagerung zu befreien, die sie tötet“ – so der Hilferuf wörtlich. Eine politische Übereinkunft scheine fern, die UNO-Appelle für einen humanitären Waffenstillstand seien bisher ungehört verhallt. Aleppo, die Symbol-Stadt des Zusammenlebens zwischen Kulturen und Religionen, erlebe den dunkelsten Moment ihrer Geschichte, weil die Kämpfer vor keinem Mittel zurückschreckten, um einen Sieg zu erreichen, den seit fünf Jahren niemand habe erringen können. Der Gründer von Sant’Egidio, Prof. Andrea Riccardi, hatte wenige Tage davor festgestellt, die Geschichte werde von allen Beteiligten Rechenschaft über die ungezählten Toten und die ungeheuren Zerstörungen verlangen. Mit dem sinnlosen Blutvergießen müsse endlich Schluss gemacht werden, solange es noch etwas Hoffnung und Leben in Aleppo gebe.
Papst Franziskus: „Die Kinder sind die Leidtragenden dieses blutigen Konflikts“

Der Apostolische Nuntius in Damaskus, Erzbischof Mario Zenari, prangerte gegenüber Radio Vatikan, an, dass der Schutz der Zivilbevölkerung in Syrien völlig versagt habe. Man müsse nur daran denken, dass Tag für Tag Krankenhäuser, Schulen, Märkte, Flüchtlingszentren, Kirchen und Moscheen angegriffen werden. „Hier in Aleppo sind schon vor Monaten die Wasserleitungen gesprengt worden“ – so der Nuntius wörtlich – „An einigen Orten wird der Zugang zu Medikamenten, ja überhaupt zur medizinischen Versorgung verweigert.“ Außerdem sei der akute Mangel an Nahrungsmitteln und Treibstoff (auch für den Betrieb der Generatoren) jetzt spürbarer denn je. „Papst Franziskus hat daran erinnert, dass unter den zivilen Opfern die Kinder die Leidtragenden dieses blutigen Konflikts sind“. Der Papst habe auch davon gesprochen, dass es auf Seiten der Mächtigen keinen Willen zum Frieden gebe. Man könne mit Händen greifen, dass Syrien zu einem Kampfplatz regionaler und internationaler geopolitischer Interessen geworden sei. Es sei evident, dass der Kampf in Syrien immer mehr zu einem Stellvertreterkrieg geworden sei, einem höchst komplizierten Krieg, der – auch nach Ansicht des katholischen Oberhauptes – einen entschlosseneren Willen der Mächtigen zur Eindämmung dieser schrecklichen Auseinandersetzung erfordern würde.
Kirchturmkreuze sollen abmontiert werden, Kirchenglocken nicht mehr läuten

Der Nuntius nahm auch gezielt zur Situation der Christen in Syrien Stellung. In den von den sog. IS-Terroristen beherrschten Gebieten – etwa in Der-ez-Zor oder in Er-Rakka – gebe es praktisch keine Christen mehr. In der von der Nachfolge-Organisation der islamistischen „al Nusra“-Front kontrollierten Provinz Idlib existieren noch einige christliche Gemeinden. Den Christen sei aber auferlegt worden, die Kreuze von den Kirchtürmen abzumontieren, auch dürften keine Kirchenglocken läuten. Vor eineinhalb Monaten sei er selbst in Aleppo gewesen, berichtete der Nuntius. Er sei zutiefst betroffen gewesen. Die christlichen Wohnbezirke lägen direkt an der Frontlinie und stünden ständig unter dschihadistischem Beschuss.  (asianews/pm/kna/poi/KiN/rv)

Jesuitenpater Ziad Hilal: „Christen und Muslime helfen einander“

Selbst in dieser schier ausweglosen Situation scheint die Solidarität der Christen von Aleppo untereinander – nach Angaben des einheimischen Jesuitenpaters Ziad Hilal – ungebrochen: „Einerseits ist die Lage unendlich traurig. Andererseits gibt es dort einen großen Zusammenhalt – gerade in den christlichen Gemeinden.“ Die Kirchen stellten viel Hilfe und Unterstützung auf die Beine. Man biete den Menschen soviel Hilfe wie nur möglich an, „damit sie trotz allem Elend eine Zukunftsperspektive in ihrer Heimat haben“, unterstrich Hilal. Denn wenn sie wegzögen, setze sich ihr Leidensweg meist woanders fort. In einer Suppenküche von Aleppo würden täglich 7.500 Menschen mit warmen Mahlzeiten versorgt. „Das Team besteht aus Christen und Muslimen“, so der Priester. „Das ist ganz praktische Versöhnungsarbeit.“ Beide Religionen hätten in Syrien seit Jahrhunderten friedlich zusammengelebt, sie wollten es auch in Zukunft tun.