Pia de Simony

Während die beiden furchtbaren Attentate in Paris von Anfang Jänner mit 17 Todesopfern eine wahre Flut der Empörung in ganz Europa ausgelöst haben, ging ein Massaker ungeahnten Ausmaßes im nordnigerianischen Grenzstädtchen Baga in der medialen Berichterstattung fast unter: BBC-Quellen sprechen von bis zu 2.000 Toten…

Baga, die von Boko-Haram ausgebrannte Geisterstadt © KNA

Baga, die von Boko-Haram ausgebrannte Geisterstadt
© KNA

Die Kämpfer der islamischen Terrormiliz Boko Haram haben diesmal Anfang Jänner 2015 eine Großoffensive gestartet und brutal zugeschlagen wie nie zuvor: Fünf Tage lang durchkämmten sie mit ihren Sturmgewehren die Ortschaft Baga am Ufer des Tschad-Sees und weitere 15 umliegende Dörfer und töteten alle Bewohner, die nicht rechtzeitig fliehen konnten. Sie haben niemanden ausgespart und alles schonungslos niedergemetzelt, was sich bewegte – sogar eine junge Mutter, deren Neugeborenes noch an ihrer Nabelschnur hing… Am Ende ihres grauenhaften Blutbades hinterließen die Dschihadisten eine ausgebrannte Geisterstadt (s. Foto) und verwüstete Ortschaften mit hunderten herumliegenden Leichen. Die stationierten Soldaten, die die Einheimischen vor dem Angriff schützen sollten, hatten schon zu Beginn aus Panik die Flucht ergriffen. Dies teilten ein Behördenvertreter nach einem Lokalaugenschein und auch traumatisierte Flüchtlinge dem britischen Rundfunksender BBC mit. Letztere hätten sich inzwischen auf einer Insel am Tschad-See mit weiteren 500 obdachlos gewordenen Menschen verschanzt. Weitere 15.000 Einheimische sind jetzt auf der Flucht – ohne Hoffnung auf Rückkehr in ihre Häuser, die dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Droht bald auch dem Nachbarland Kamerun das gleiche Schicksal?
Örtliche Beobachter sprechen von der ärgsten Attacke, die das ohnehin schon krisengeschüttelte Land bisher erlitten hat*. Aus Angst, hat sich bislang noch kein Reporter in die Nähe des Grauens getraut, so explosiv ist die derzeitige Lage im nordnigerianischen Bundesstaat Borno, an der Grenze zu Kamerun gelegen.  Die Terrororganisation Boko Haram, die bereits weite Landesteile im Nordosten Nigerias kontrolliert, ist entschlossen, dort ein islamisches Kalifat nach den strengen Grundsätzen der Scharìa zu errichten. Um dieses Ziel zu erreichen, scheut sie vor nichts zurück. Schon im April 2013 brachten ihre Krieger in Baga in einem ersten Überfall rund 200 Zivilisten um. Nach ihrem jüngsten blutigen Feldzug droht jetzt der Anführer Abubakar Shekau in einem auf Youtube veröffentlichten Video auch das Nachbarland Kamerun mit dem gleichen Schicksal, sollte es sich weiterhin zur Demokratie bekennen. Der blutige Konflikt scheint sich zu einem grenzüberschreitenden Flächenbrand auszudehnen, wenn nicht rechtzeitig von Regierungsseite massiv eingegriffen wird.

„Die Welt bleibt stumm. Noch schlimmer: Afrika schweigt.“
Doch in Nigeria herrscht derzeit Wahlkampfstimmung und Präsident Jonathan Goodluck möchte am 14. Februar wieder gewählt werden. Es war ihm offensichtlich wichtiger, sofort öffentlich der französischen Regierung sein Beileid für die jüngsten Pariser Attentate zu bekunden, als  das Massaker in Baga aufs Schärfste zu verurteilen, was er erst eine Woche später zögerlich tat (!) – klagten viele einheimischen Medien. „Ich bin Charlie, doch ich bin auch Baga“ schreibt sich der Korrespondent Simon Allison von der afrikanischen „Daily Maverick“ seinen Schmerz und Zorn von der Seele: „Es starben fast 2.000 Menschen und die Welt bleibt stumm. Noch schlimmer: Afrika schweigt. Wo sind die Oberhäupter Afrikas, die so ein Blutbad vehement anprangern, wo sind die Solidaritätsmärsche für die unschuldigen Opfer?“ Diese Fragen erfordern eine dringende Antwort.
P.S.: Nach Redaktionsschluss am 20.1. wurde am gleichen Tag von Boko Haram ein Video ins Internet gestellt, worin u.a. ihr Anführer Shekau Nigerias Nachbarländer Kamerun und Tschad verbal herausfordert, seine Terrormiliz anzugreifen. Dabei verbrannte er vor laufender Kamera die nigerianische Fahne und schwenkte die schwarze islamistische Flagge. (Quellen: Daily Maverick / BBC / AFP)

Minderjährige Mädchen als Selbstmordattentäterinnen eingesetzt
Als „abnormal und unvorstellbar“ bezeichnete der Vorsitzende der Nigerianischen Bischofskonferenz, Erzbischof Ignatius Kaigama, die neue Strategie von Boko Haram, sogar Kinder als Selbstmordattentäter einzusetzen. Am zweiten Jännerwochenende waren in Nordnigeria durch zwei Anschläge mit blutjungen Mädchen, die Sprengstoff am Leib trugen, mindestens 27 Menschen getötet worden.  (fides)