Zum ersten Mal protestieren auch Muslime öffentlich gegen islamische Terroristen

„Gemeinsam gegen den Terror“: Gedenkkundgebung vor dem Winer Ballhausplatz
Nach dem furchtbaren Doppelanschlag in Paris (auf die Redakteure der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und auf Kunden in einem jüdischen Supermarkt) mit insgesamt 17 Todesopfern, sind zum ersten Mal auch etliche Muslime, Seite an Seite mit Christen und Juden, auf die Straße gegangen, um diese blutigen Attentate aufs Schärfste zu verurteilen. Anderthalb Millionen Menschen nahmen am Pariser Trauerzug teil. In Wien mischten sich am 11. Jänner vor dem Bundeskanzleramt mehrere Muslime unter die 12.000 Menschen, die zur stillen Gedenkkundgebung „Gemeinsam gegen den Terror“ der Bundesregierung und Vertreter der Glaubensgemeinschaften gekommen waren (s. obiges Foto). Und in Berlin hat zwei Tage danach der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) vor dem Brandenburger Tor, in Frankreichs Nationalfarben beleuchtet, eine Mahnwache abgehalten, bei der auch die Spitzenriege deutscher Politiker anwesend waren.
Bundespräsident Gauck: „Sie alle sind gekommen, um ein Zeichen zu setzen“
„Die Terroristen haben mit ihrer Tat die größte Gotteslästerung begangen“, sagte der ZMD-Vorsitzende Mazyek. „Sie haben den Islam mit ihrem fürchterlichen Akt verraten und in den Schmutz gezogen. (…)Wir werden es nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft von Extremisten, die nur das Ziel haben, Hass und Zwietracht zu stiften, auseinandergerissen wird.“ Bundespräsident Gauck dankte ausdrücklich den Muslimen in Deutschland, die gegen die Anschläge in Paris protestierten. „Sie alle sind gekommen, um ein Zeichen zu setzen“, betonte G
auck in seiner Ansprache. Und Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nahm die muslimische Gemeinschaft in die Pflicht, den Antisemitismus „vor allem unter jungen Muslimen, nicht einfach hinzunehmen.“
Distanzierung von Gewalt im Namen des Islam
Selten zuvor haben sich Muslime so klar öffentlich zu den demokratischen Werten (u.a. zur Presse- und Meinungsfreiheit) ihres jeweiligen neuen Heimatlandes bekannt, wie nach dem im Namen Allahs begangenen Gemetzel von Paris. So eine eindeutige Distanzierung von Gewalt im Namen des Islam müsste auch Teilnehmern der Pegida-Bewegung* zum Nachdenken anregen.
NICHT MIT UNS!
Österreichische moderate Muslime melden sich öffentlich zu Wort nach dem Attentat von Paris:
„Mir kommt das Grausen, wenn Verrückte, die sich Muslime nennen, ernsthaft glauben, sie hätten die Wahrheit mit dem Löffel gefressen – um sich dann auch noch als Vollstrecker des göttlichen Willens aufzuspielen.“
Yasin Asrak (Schüler)
„Eine offene Gesellschaft, in der wir das Gemeinsame und Verbindende in den Vordergrund stellen, ist die einzige Antwort auf diesen Wahnsinn.“
Afifa Akhtar (Schülerin)
„Die Terroristen schaden vor allem der muslimischen Gesellschaft. Gerade jetzt ist das Miteinander umso wichtiger.“
Ramazan Demir (Gefängnisseelsorger)
„Die Extremisten berufen sich auf den Koran. Die islamische Theologie muss sich mit der Grundfrage auseinandersetzen: Wie gehen wir mit den Stellen um, die Gewalt ansprechen?“
Mouhanad Khorchide (Religionspädagoge)
„Wir müssen endlich lernen zu differenzieren und gemeinsam gegen Hass und Gewalt vorgehen.“
Medina Korkut (Studentin)
„Gerade jetzt dürfen wir die Lichter der Demokratie, Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und Menschlichkeit nicht löschen.“
Kazim Yilmaz (Rechtsanwalt)
„Die Freiheit eines jeden Menschen ist unantastbar.“
Mona Mansour (Schülerin)
„Wir müssen mehr denn je zusammenhalten und uns für Frieden und Menschenrechte einsetzen.“
Dudu Kücükgöl (Vorstandsmitglied MJÖ)
„Parteien wie die FPÖ oder die Pegida-Bewegung sollten sich die grausamen Vorfälle nicht zunutze machen. Ich bin für die Festigung der säkularen Gesellschaft.“
Morteza Tavakoli (Schauspieler)
(Eine Auswahl aus „Die Presse“ vom 11.1.15)
Gewalt hat doch mit dem Islam zu tun
Der renommierte Islamexperte Samir Khalil Samir (im Bild) widerspricht der Ansicht, dass die Ereignisse in Paris nichts mit dem Islam zu tun hätten. Gegenüber Radio Vatikan sagte der an der Universität Saint-Joseph in Beirut lehrende Jesuit, es gebe nun einmal im Koran Verse, die zur Gewalt aufriefenund auf die sich die Extremisten berufen. Mit dieser Begründung richteten sich etwa die Gewaltakte der sunnitischen TerrorgruppeIslamischer Staat (IS) gegen die Schiiten, die als „Ungläubige“ betrachtet werden. Es sei also Augenauswischerei, wenn nach jedem neuen Attentat behauptet werde, das habe nichts mit dem Islam zu tun. Nach Meinung von Khalil sei – neben dem Dialog und der Bildung – eine Selbstkritik der Muslime dringend notwendig und die Fähigkeit, den Koran kritisch in seinem Zeitkontext zu interpretieren.*
„Wir sind anders und wir sind besser. Das ist sehr gefährlich.“
Auf die Frage, was die Gesellschaft in Europa dringend für die Integration der Muslime tun sollte, meint Khalil, die Beherrschung der jeweiligen Landessprache sei eine wichtige Voraussetzung, um sich wohl zu fühlen und bessere Aufstiegschancen zu erhalten. Das ermöglicht erst eine Akzeptanz der jeweiligen Kultur des Gastlandes. “Wenn aber Imame – was viele von ihnen tatsächlich tun – die fremde Kultur als heidnisch brandmarken, fühlen sich die Jugendlichen innerlich hin- und hergerissen. Sie finden ihre Umgebung teilweise zwar attraktiv, aber in der Moschee hören sie, dass diese Welt so schlimm sei. Die Imame wiederholen immer: Wir sind anders und wir sind besser. Das ist sehr gefährlich. Die Jugendlichen müssen sich zu Persönlichkeiten entwickeln, die sich nach ihrem eigenen Gewissen ausrichten und nicht nach den Ideologen unter den Imamen.“
* Der gleichen Ansicht ist übrigens auch der österreichische Religionspädagoge türkischer Abstammung Prof. Ednan Aslan. Wir berichteten darüber in der Dezember 2014-Ausgabe von „Christen in Not“, Anm.)