Wie geht es Frau Dr. Pfau?

Dr. Ruth Pfau mit ihrer engsten Mitarbeiterin Claudia Villani © MALC Karachi

Dr. Ruth Pfau mit ihrer engsten Mitarbeiterin Claudia Villani
© MALC Karachi

Mit ihren 83 Jahren lebt sie unverändert intensiv, ist sehr präsent bei unseren Lepra-Kranken und leistet nach wie vor Enormes.

Was hat Sie dazu bewogen, im Jahre 2003 Dr. Pfau in Pakistan zu besuchen?
Ihre Glaubwürdigkeit, das Christentum zu leben. Nicht zu reden, sondern zu handeln!

Sie arbeiten viele Monate im Jahr Seite an Seite mit ihr. Was zieht Sie immer wieder nach Pakistan?
Meine Liebe zu den Brüdern und Schwestern, die ich in diesem Land gefunden habe.

Welche Probleme machen Ihnen am meisten zu schaffen?
Ich werde täglich mit Gewalttaten konfrontiert und kriege hautnah mit, wie Passanten auf offener Straße umgebracht werden. Täglich hört man von Übergriffen, z. B. ein öffentlicher Bus wird von bewaffneten Männern gestürmt. Sie konfiszieren alle Handys. Wenn einer versucht zu fliehen, wird er kurzerhand erschossen. Die Täter kommen meist ungeschoren davon, da die Polizei zum Großteil selbst korrupt ist und nicht immer interveniert. Wir erleben anarchische, kriegsähnliche Zustände… Im ganzen Land herrscht  große Angst!

Trauen Sie sich überhaupt noch alleine auf die Straße?
Höchstens in männlicher Begleitung und verschleiert, damit man meine weiße Haut nicht sieht. Diese assoziiert man mit dem negativ behafteten Image der Amerikaner.

Sind Sie als Christin je bedroht worden?
Nein, bislang noch nicht. Das Volk unterscheidet in der Regel nicht zwischen Christen und Muslimen, wenn sie nicht gerade gegeneinander aufgehetzt werden, wie es neulich Anfang März in Lahore passierte, als in einem christlichen Viertel ein wütender Mob 178 Häuser angezündet hat. Uns ist auf der Lepra-Station die Religionszugehörigkeit der Patienten meist nicht bekannt. Wir behandeln alle gleich und sind die Stimme aller Ausgestoßenen des Landes.

Wie sieht es mit der Christin Asia Bibi aus, der Mutter von 5 Töchtern, die seit 2010 im Gefängnis sitzt wegen angeblicher Koranlästerung. Keine Chance auf Freilassung?
Sie ist nicht in erster Linie eingesperrt worden, weil sie Christin ist. Sie soll eine Nachbarin auf ihrem Waschplatz gestört haben. Diese hat ihr dann unterstellt, den Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Dadurch hat man ihr als Anklagegrund fälschlicherweise Lästerung  vorgeworfen. Damit konnte das Blasphemie-Gesetz bei ihr angewendet werden.

Genügt in Pakistan ein reiner Verdacht der Gotteslästerung, um hinter Gittern zu kommen?
Ja, das umstrittene sog. „Blasphemie-Gesetz“ wird dazu missbraucht, gegen Andersgläubige vorzugehen. Sogar die einheimische Gerichtsbarkeit steht hinter diesem ominösen Gesetz. Das ist eine Schande und sät große Zwietracht zwischen der Mehrheit und den religiösen Minderheiten, zu denen auch die Christen gehören. Ob Asia Bibi demnächst aus der Haft entlassen wird, hängt von der Willkür der Beamten ab. Wir können nur hoffen, dass der internationale Druck bald etwas bewirkt…

Sie wirken nicht sehr hoffnungsvoll…
Ich bin etwas skeptisch, denn ich habe noch in schauderhafter Erinnerung, wie die Mörder des christlichen Ministers Bhatti 2011 im Gerichtssaal von Hunderten Rechtsanwälten mit Blumen beworfen wurden. Er galt als einer der engagiertesten Kritiker dieses Gesetzes.

Und was passiert nun mit dem Christen Sylvester Zeno? Aus informierten Kreisen hörten wir, dass nach 10 Gefängnisjahren am kommenden April mit seiner Freilassung gerechnet wird.
In Pakistan ist gar nichts sicher. Das einzige was wir wissen ist, dass Herr Zeno zu Unrecht der Entführung seiner zum Christentum konvertierten Geliebten angeklagt wurde. In Wahrheit sind beide in vollem Bewusstsein durchgebrannt. Die Eltern der Frau fühlen sich doppelt entehrt: wegen des Glaubenswechsels ihrer Tochter und weil sie mit einem verheirateten Mann davongelaufen ist. Ein Racheakt ist in diesen Breiten keine Seltenheit…. (s. dazu Kommentar von Dr. Pfau auf S. 10)

Sprechen wir kurz über den Fall der 15jährigen muslimischen Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die von einem Taliban am Kopf angeschossen wurde, weil sie im Internet für die Rechte der Frauen eintrat. Sie hat den Anschlag nur knapp überlebt…
Gut, dass Sie diese mutige Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen erwähnen. Als das Attentat bekannt wurde, sind zehntausende Menschen, Väter wie Mütter, auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität mit Malala öffentlich kundzutun. Hier ist offenbar die Grenze des Erträglichen weit überschritten worden. Die Demonstranten haben Sprüche skandiert wie „Bildung für alle Mädchen“ und heftig gegen den Steinzeit-Islamismus protestiert, der von radikalen Gruppen seit 10 Jahren unerbittlich propagiert wird.

Stellen Sie Diskriminierungen gegen Frauen auch im Alltag fest?
In meinem europäischen Denken, ja.  Wenn ich etwa in ein Restaurant gehe: In der Männer-Abteilung gibt es immer Licht mit einem funktionierenden Ventilator, wir Frauen hingegen müssen mit den Kindern in einem eigenen Sektor auf Strom und kühlende Luft verzichten.

Sind Ihnen religiöse Übergriffe, Christen betreffend, bekannt?
Einzelfälle gibt es leider immer wieder, wie der vorhin erwähnte schlimme Überfall auf ein christliches Viertel in Lahore. Doch die bekannten religiösen Übergriffe sind meistens von Sunniten gegen die schiitischen Minderheiten gerichtet. Christen werden – meines Wissens – nicht  wahllos umgebracht. Ein Beispiel aus jüngster Zeit, zur Veranschaulichung: Ein islamistischer Mob hatte eines Tages alle zur Exekution Bestimmten in einem Bus zusammengepfercht. Darunter befand sich ein Christ, wie es der Name in seinem beschlagnahmten Ausweis verriet. Einer der Terroristen nahm ihm die Augenbinde ab und schrie ihn an: „Was machst Du hier? Verschwinde!“ Was er umgehend tat. Die anderen fielen den Mördern zum Opfer…

Ende 2012 ist ein indischer Tempel in der von Ihnen mitbetreuten Hindu-Slumsiedlung von Kamisagoth zerstört worden. Ein Einschüchterungsversuch?
Das Unheimlichste für uns war, dass alle an den Wänden hängenden Fotos von Frau Dr. Pfau heruntergerissen wurden. Sie selbst aber ist davon völlig unbeeindruckt.  Sie wird ihrer Berufung auch weiterhin folgen und ihren bedürftigen pakistanischen Brüdern und Schwestern – ungeachtet ihrer Religion – unvermindert helfen, wie sie es in den letzten 52  Jahren unerschrocken getan hat.

Wie kann CSI-Österreich in erster Linie Christen in Pakistan helfen?
In dem Ihre Organisation auch weiterhin laut ihre Stimme erhebt und sich für all jene einsetzt, die in Pakistan mundtot gemacht werden. Das gilt freilich nicht nur für Christen. Wir müssen radikale Moslems aufs Schärfste bekämpfen und gleichzeitig Religionsfreiheit für Minderheiten wie etwa die Sufis oder die Schiiten fordern. Bedenken Sie: Letztere gehören zu den Hauptleidtragenden in Pakistan mit dem höchsten Blutzoll!

Woher schöpfen Sie Ihre Kraft?
Sie wird mir geschenkt.

Dr. Ruth Pfau – die Mutter aller Ausgestoßenen von Pakistan

© MALC Karachi

© MALC Karachi

geb. 1929 in Leipzig, katholische Ordensschwester und Ärztin. Seit über 50 Jahren kümmert sie sich um die Ärmsten der Armen in Karachi. Dort Gründerin der Lepra-Organisation MALC (Marie Adelaide Leprosy Centre) mit 157 Zweigstellen im Land. Für ihr Engagement in Pakistan wurde sie zwanzigfach international ausgezeichnet – im November 2012 wurde ihr der deutsche „Bambi“-Preis in München verliehen.

© MALC Karachi

© MALC Karachi

Claudia Villani (re. im Bild)
geb. 1955 in Wien, 3 Kinder. Religionspädagogin/Dipl.Sozialarbeiterin u. Psychotherapeutin (Schwerpunkt: Sterbebegleitung), seit 2009 freie Mitarbeiterin von MALC (der Organisation von Dr. Pfau).