Frei leben! Frei glauben! Frei reden!
‚Mut zur Solidarität‘ – das war das Motto und zugleich der Aufruf des CSI-Schweigemarsches für verfolgte Christen 2016. Rund tausend Teilnehmer zogen zu Beginn der Langen Nacht der Kirchen in Wien vom Stephansdom bis zur Augustinerkirche. Ihr Ziel, den Menschen das drängende Problem der anwachsenden Christenverfolgung in weiten Teilen der Welt bewusst zu machen. (Eva Kohl)

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Kirchliche Würdenträger unterschiedlicher Konfessionen führten die Spitze des Schweigemarsches an (*)  – darunter auch zwei Syrer, die die Verfolgung ihrer Glaubensgeschwister seit fünf Jahren hautnah miterleben: der melkitische Pfarrer Hanna Ghoneim aus Damaskus sowie Ibrahim Alsabagh, Franziskanerpater aus Aleppo. Auch Mitglieder vieler katholischer Studentenverbindungen sind dabei. Auf Transparenten werden Menschenrechte und Religionsfreiheit eingefordert. Eines davon fasste zusammen: „frei leben, frei glauben, frei reden.“ Kardinal Schönborn – der heuer an der Teilnahme des Marsches gehindert war – dankt in einer Grußbotschaft den Anwesenden für ihr wichtiges Zeugnis.

Fulani-Hirten vertreiben Christen – CSI hilft sofort
Der CSI-Schweigemarsch leitet zum zweiten Mal in Wien die Lange Nacht der Kirchen ein. Christenverfolgung nimmt international alarmierend zu. Besonders dramatisch ist es in Syrien, im Irak und in Nigeria. Im Süden des afrikanischen Landes terrorisieren und töten derzeit muslimische „Fulani“ (nomadisches Hirtenvolk, Anm.) einheimische Christen. Während des Schweigemarsches ertönen durch das Megaphon bestürzende Schicksalsgeschichten verfolgter Christen aus aller Welt – und immer wieder aus dem Nahen Osten. Dort liege die Wiege des Christentums, betont Diakonie-Direktor Chalupka in seiner Ansprache. Das solle Europa nicht vergessen. Die Mitverantwortung der westlichen Welt an der Situation im Nahen Osten wird angesprochen. Der syrische Pfarrer Ghoneim bittet unter dem Beifall der Teilnehmer und vieler Passanten: „Stoppt Waffenlieferungen nach Syrien!“ Aber auch schreckliche Armut würde die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. „Wir brauchen mehr Unterstützung für die Christen vor Ort.“

Übergriffe in Europa
Die parlamentarische Versammlung des Europarats hat die Verfolgung religiöser Minderheiten durch den sog. „IS“ im Nahen Osten als Völkermord eingestuft. Die mitmarschierende ÖVP-Landtagsabgeordnete Gudrun Kugler fordert, Österreich solle am „internationalen Parkett einstehen für die bedrohten Christen.“ Auch in europäischen Flüchtlingsunterkünften sei mehr als bisher auf die Sicherheit christlicher Flüchtlinge zu achten. „Wir haben einen Teil dieser Christenverfolgung importiert. 80 Prozent der christlichen Flüchtlinge erleben nun die Unterdrückung in europäischen Lagern weiter.“ Nach den Ansprachen rezitierte ein Diakon der syrisch-orthodoxen Kirche das Vaterunser auf Aramäisch – in der Sprache Jesu.

Jesidinnen bei lebendigem Leib verbrannt
Auf dem Weg zur Augustinerkirche werden auch die Schicksale von Christen, Jesidinnen (in diesen Tagen wurden 19 von ihnen im Irak bei lebendigem Leib öffentlich verbrannt, Anm.) und liberalen Muslimen erzählt, die Opfer religiös motivierter Gewalt wurden. Der armenische Patriarchalvikar Petrossian hofft für seine Heimat auf eine Annäherung mit dem Nachbarn Türkei, auch wenn es im Moment noch große Hindernisse gäbe: „Auf zivilgesellschaftlicher Basis gibt es wenigstens eine deutliche Öffnung.“ Auf den historischen Papstbesuch in Armenien (24.-26. Juni) freut er sich besonders. Anerkennende Worte fand er auch über Papst Franziskus, dass er als Kirchen- und Staatsoberhaupt den Völkermord an den Armeniern von 1915 anerkannt hat. Beim abschließenden ökumenischen Gottesdienst in der Augustinerkirche wird für Opfer und Täter der Verfolgung gebetet. Verfolgung sei nicht nur ein Thema der Christen. Religionsfreiheit sei ein Menschenrecht aller, unterstreicht CSI-Generalsekretär Dr. Elmar Kuhn, doch: „Menschenrechte kommen nicht von alleine – man muß sich aktiv für sie einsetzen.“

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Die ‚Kerze der Hoffnung‘ ist bei CSI-Österreich ein vertrautes Symbol. Es erinnert an Menschen, die ihres Glaubens wegen verfolgt werden. Dieses Symbol prägte auch den ökumenischen Gottesdienst in der Wiener Augustinerkirche, der den ermutigenden Abschluss des Schweigemarschs bildete. Die Kerzen wurden in Laternen im Anschluss in die Pfarrgemeinden getragen.

Das erschütternde Triptychon des nigerianischen  Künstlers Samuel Palmtree beherrscht das linke Seitenschiff der Augustinerkirche. Vor dem Kunstwerk über die Leiden verfolgter Christen stehen knapp dreißig Laternen bereit. Während der Fürbitten werden die Kerzen entzündet und die leuchtenden Laternen auf den Stufen des Hauptaltars aufgereiht. Georg Radlmair, Mitbegründer der Langen Nacht der Kirchen, dazu: „Diese Laternen sollen in den unterschiedlichen christlichen Kirchen brennen. Sie zeigen allen Besuchern der Langen Nacht, dass wir in unserer Verantwortung als Christen keine Verfolgung, sei sie aus religiösen Motiven oder anderen, erlauben und stets unsere Stimme dagegen erheben werden.“

Christen aus ganz Wien möchten das Licht der Hoffnung jetzt in ihre Gemeinden tragen. Wie Ingrid Melichar, die ihre Laterne in die Pfarre Breitenfurt nahe Wien bringt. „Bei uns liegen die Info-Materialien von CSI immer auf. Unser Pfarrer war beim vorjährigen Schweigemarsch selbst mit dabei“, heuer bringe sie das Licht der Hoffnung für die anderen mit in die Pfarre. Catherine De Bonnaires aus St. Josef in Wien Margarethen und Helene Unger aus Inzersdorf Neustift haben eher das Gefühl, dass es in ihren Gemeinden noch an Engagement für verfolgte Christen fehle. „Aber jetzt werden wir sagen: Bitte tut etwas“, nimmt sich Unger vor und De Bonnaires ergänzt: „Jetzt bin ich voller Kraft.“ Eine Kraft, die mit den Laternen mitgetragen wird.

Auch die Wiener Landtagsabgeordnete Gudrun Kugler, nimmt mit ihrer Familie eine Laterne mit. Diese möchte sie, sofern es möglich ist, im ÖVP-Parlamentsclub aufstellen. Mit hundert Kerzen zum Nachbestücken: „Als Zeichen, dass wir als Politikerinnen und Politiker ganz besonders gefordert sind, gegen Christenverfolgung zu agieren.“

 Stimmen von Schweigemarsch-Teilnehmern     

Werner Steinwender, 70, aus Wien: „So viele Menschen nehmen sich um so viel Gutes an, da sollten wir uns jetzt dringend um unsere christlichen Brüder kümmern. Nie kam es zu so großer Christenverfolgung wie heute.“
Katharina Barske, 28, aus Deutschland: „Ich wusste bisher nichts über Christenverfolgung. Bin jetzt sehr betroffen. Den CSI-Informationsflyer, den ich hier in der Hand halte, lese ich mir jetzt definitiv durch.“
Amer Albayati, 74, irakischer Moslem: „Die liberalen Muslime werden wie die Christen verfolgt. Die Christen im Nahen Osten sind die ursprünglichen Bewohner dort. Wir verstehen nicht, warum sie vertrieben werden. Der heutige ökumenische Gottesdienst war für uns eine Bereicherung für Geist und Seele!“

(*) Weitere Teilnehmer u.a.: die Wiener Weihbischofe Scharl und Turnovszky, der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) Superintendent Pöll, der evangelische Pfarrer Chalupka, Direktor der Diakonie, Patriarchalvikar Tiran Petrossian der armenisch-apostolischen Kirche und der griechisch-katholische Generalvikar Yuriy Kolasa.

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