Hagia Sophia wird Moschee – Politisierung von Religion errichtet neue Mauern im interreligiösen Dialog

Sorge um die christlichen Mosaiken – ChristeninNot warnt vor Bildersturm

Wien/Istanbul/Hagia Sophia

(Wien, 12. Juli 2020). Mit dem Fall des sog. Islamischen Staates hoffte die Welt, dass Politik wieder zur Vernunft zurückkehrt. Dazu gehört es auch, dass Politik aufhört, Religion als Werkzeug zu benutzen.

ChristeninNot-Generalsekretär Dr. Kuhn: „Mit der nun durchgeführten Umwidmung der Hagia Sophia in Istanbul zu einer Moschee ist zu befürchten, dass die `Bilderstürmer-Mentalität´ des „IS“ salonfähig wird“. Insgesamt sei eine große Chance verloren gegangen, einen Weg des Dialogs und gegenseitigen Respekts zu finden. Dann hätte die Umwidmung von einem Museum in ein Haus des Gebets ein konstruktives Zeichen darstellen können. So wäre die Hagia Sophia, auch aufgrund ihrer großen Geschichte, ein wahres und verbindendes Weltkulturerbe. Denn die Welt erwartet zu Recht den Beitrag der Religionen zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung statt zu neuen Verletzungen und Konflikten. Insgesamt wird dadurch auch die ohnehin prekäre Situation vieler Christen in der Türkei nicht besser (ChristeninNot berichtet immer wieder von positiven, aber leider auch negativen Entwicklungen).

Zerstörung der Mosaiken aus dem 8. Jahrhundert befürchtet

Es ist zu befürchten, dass nun die christlichen Mosaiken in der Kuppel der Hagia Sophia endgültig zerstört werden. Hatte Sultan Mehmed II. nach der Eroberung Konstantinopels 1453 die christlichen Mosaiken durch Putz verdeckt, so ist nach dem Vorbild der Bilderstürmerei des „IS“ nun zu befürchten, dass nun die Mosaiken selbst zerstört werden. Keinesfalls können diese sichtbar bleiben, weil ansonsten den Vorschriften der bilderlosen Moschee (spätestens ab dem 8. Jh. Ist das Bilderverbot im Islam ausnahmelos verankert) nicht Genüge getan werden kann.

Re-Islamisierung vertieft Spalt in der türkischen Gesellschaft

Auch wenn rund ¾ der türkischen Bevölkerung diese Re-Islamisierung der ursprünglich christlichen Hagia Sophia begrüßen, so zeigt das doch, dass der Spalt zwischen den Menschen, die auf einen respektvollen Dialog zwischen den Religionen setzen und  einer religiös-nationalistisch instrumentalisierten Bevölkerung in der Türkei tief geht. Das lässt für die Entwicklung einer modernen Türkei und ihres Umgangs mit religiösen Minderheiten Schlimmes befürchten. Klar ist auch die Absage an Atatürks Trennung von Staat und Religion, die aber, wie die Situation in Europa zeigt, durchaus Kooperationen zum Wohl der Menschen zulässt und sogar fördern kann.

Erhebliche Auswirkungen auf den interreligiösen Dialog?

Die gesamte orthodoxe Christenheit hat die Hagia Sophia als wichtigste Kirche der östlichen Christenheit tief in der kollektiven Erinnerung. In der Widmung als Museum war seit 1934 ein modus vivendi gefunden worden, der auch den religiösen Gefühlen der orthodoxen Christen (und vieler westlicher Christen) Respekt erwiesen hat. Dass dieser Respekt jetzt bewusst mit Füßen getreten wird, ist leider ein Affront erster Güte. Kuhn: „Die Auswirkungen auf den bislang so positiven sunnitisch-christlichen Dialog sind noch gar nicht abzusehen. Eine Fundamentalisierungswelle ist nun auf beiden Seiten, bei Christen wie bei Muslimen, zu befürchten.“ Kuhn weiter: „Wir hoffen und beten, dass die Versöhnungsprojekte von ChristeninNot in muslimischen Ländern durch diesen Kulturvandalismus nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.“

 

Hintergrund: Insgesamt leben noch etwa 100.000 Christen in der Türkei, knapp 90% in und um Istanbul. Die Stadt ist heute noch der Sitz des ranghöchsten Bischofs aller Orthodoxen Kirchen, des Ökumenischen Patriarchen. Ihm unterstehen nur noch wenige Tausend Gläubige und die Priesterausbildung ist durch staatliche Repressionen praktisch zum Erliegen gekommen. Die meisten Christen gehören der armenischen-apostolischen Kirche an. Sie gelten als die älteste ethnische Minderheit der Türkei. Ihre Ursprünge gehen bis in die Zeit um 3.500 vor Christus zurück. Ihre Heimatregion ist das Hochplateau Tur Abdin im Südosten der Türkei, nahe der Stadt Mardin. Dort gibt es mehr als 80 Klöster. Im Unterschied zu den übrigen christlichen Gemeinden in der Türkei wurden die Aramäer allerdings im Vertrag von Lausanne 1923 nicht als eigenständige religiöse Minderheit anerkannt. Als 2011 die AKP-Regierung verkündete, konfiszierten Besitz an die religiösen Gemeinden zurückzugeben, waren die Aramäer davon ausgenommen. Viele von ihnen waren auch unter den Opfern der insbesondere gegen die Armenier gerichteten Massaker 1915-20. Die Ereignisse sind auf Aramäisch als „Seyfo“ (Schwert) bekannt. Schätzungen zufolge kamen damals 750.000 Menschen ums Leben. Später wanderten viele Aramäer nach Europa und in die USA aus. Ihre Lage spitzte sich in den vergangenen zwei Jahren zu, als die Kämpfe zwischen der türkischen Armee und der PKK wieder aufflammten. Insgesamt leben noch rund 20.000 aramäische Christen in der Türkei, 15.000 davon in Istanbul. Ihre Zahl dürfte aber durch den Zuzug syrischer Kriegsflüchtlinge gewachsen sein.
(Quellen zu Hintergrund-Bericht: CiN/Wikipedia/Slawomir Dadas (Initiative Christlicher Orient), in: Kathpress 06.02.2020)

Kontakt: CiN-Generalsekretär Dr. Elmar Kuhn – Mobil: +43 699 1936 36 66; kuhn@ChristeninNot.com; www.ChristeninNot.com

ChristeninNot (CiN) setzt sich dafür ein, dass Christen in allen Ländern der Erde ihren Glauben in Freiheit leben und verkündigen können. Grundlage dafür ist Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO ein, wonach „jeder Mensch Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.

Die Komnenos-Mosaiken in der Hagia Sophia, Szene: Thronende Maria mit segnenden Christuskind zwischen Kaiser Johann II. und Kaiserin Irene (c) pixabay

 

Foto (copyright bei ChristeninNot unter Angabe der Quelle): Christen in Not-Generalsekretär Dr. Elmar Kuhn