Nordirak: Christen betroffen über türkische Angriffe auf Jesiden

Der türkische Angriff auf die Sinjar-Berge – an der Grenze zwischen dem Irak und Syrien – am vergangenen Wochenende 13./14.06.2020 hat auch bei den Christen in der autonomen kurdischen Region im nördlichen Irak für negative Reaktionen gesorgt.

Jesidisches Heiligtum am Gipfel getroffen

Im Gespräch mit italienischen Journalisten sagte P. Samir Al-Khoury, Pfarrer des Städtchens Enishke im Bezirk Amadia: „Die Türken haben fertiggebracht, was nicht einmal den IS-Terroristen gelungen ist: Das jesidische Heiligtum des Scheich Chilmira auf dem mit 1.463 Metern höchsten Punkt des Gebirgszugs zu treffen“. Außerdem sei auch das Flüchtlingslager Makhmour beschossen worden, wo jesidische Vertriebene leben, die 2014 vor dem Vormarsch der IS-Terroristen flüchten mussten. Die Vorgänge hätten bei den Jesiden, die jetzt verstreut im Bezirk Amadia leben, „Schmerz und Enttäuschung“ ausgelöst, sagte P. Al-Khoury.

Viele Jesiden seien noch immer traumatisiert durch die Ereignisse von 2014, als die IS-Terroristen in die jesidischen Orte eindrangen, viele Männer töteten und Frauen und Kinder auf ihren Sklavenmärkten verkauften.

Die katholische Kirche im Bezirk Amadia bemühe sich darum, die jesidischen Vertriebenen auch materiell zu unterstützen: „Es hat sich eine Atmosphäre der Freundschaft und des Dialogs herausgebildet, die viele Zeugnisse des Guten und der Versöhnung hervorbringt“, so der Pfarrer von Enishke. Viele jesidische Familien könnten noch immer nicht zu ihren Häusern und Grundstücken in den von den Terroristen verwüsteten Dörfern zurückkehren.

Warum greift die Türkei an?

Die türkische Armee greift seit einigen Tagen wieder kurdische Ziele im Nordirak an. Warum? „Die Luftangriffe sollen die türkische Bevölkerung vom Versagen der Regierung in der Corona-Krise und der desolaten wirtschaftlichen Lage im Land ablenken.“

Das erklärt Kamal Sido, Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), am Mittwoch in Göttingen. „Für Erdogans Machterhalt sterben Menschen in den kurdischen Gebieten von Sinjar, Makhmur und Kandil.“ Es gebe Meldungen, dass auch türkische Bodentruppen die Grenze nach Irakisch-Kurdistan passiert hätten. Auch der Iran greife kurdische Ziele in der Region mit Artillerie und Raketen an. Betroffen seien nicht nur Stellungen der kurdischen PKK, sondern auch Flüchtlingslager und andere zivile Ziele.

Das Sinjar-Gebirge ist das Kerngebiet der jesidischen Religionsgemeinschaft im äußersten Nordwesten des Irak. Im August 2014 griff der sogenannte „Islamischen Staat“ (IS) die Region an und vertrieb nahezu die gesamte jesidische Bevölkerung. Tausende Menschen wurden ermordet und jesidische Frauen massenweise vergewaltigt und versklavt.

Stärkt die Türkei letztlich den IS in der Region?

„Diese Region, in der die Menschen seit Jahren unter den Folgen islamistischer Gewalt leiden, scheint ein Hauptziel der neuen türkischen Angriffe zu sein“, berichtet Sido. „Auch, wenn die türkische Regierung behauptet, die PKK zu bekämpfen, stärkt sie letztlich den IS in der Region.“

Nahezu alle kurdischen Gruppen hätten den IS und andere radikalislamistische Gruppen bekämpft. Die Türkei habe sie geduldet oder sogar unterstützt. Nun schwäche sie genau die Gruppen, die die Minderheiten im Nordirak vor Angriffen der radikal-islamistischen Milizen schützen.

Quellen: gfbv / sk / pro oriente / mg

 

Kurdistan_Berge_Symbolbild (c) pixabay