Moskau

Russland: Religionsfreiheit angesichts des Ukraine-Kriegs

Um das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ist es in Russland zur Zeit nicht gut bestellt. Grundsätzlich ist die Menschenrechtslage düster, wie auch der Fall einer jungen Studentin zeigt.

Behördliche Verfolgung wegen Gedicht

Daria Kozyreva wurde im Februar 2024 inhaftiert, weil sie die Zensurgesetze in Russland kritisiert hatte. Zum zweiten Jahrestag der russischen Militäroperation in der Ukraine brachte sie ein Gedicht des ukrainischen Dichters Taras Shevchenko an seinem Denkmal in Sankt Petersburg an. Die Medizinstudentin war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt und damit eine der jüngsten gewaltlosen politischen Gefangenen in Russland. Sie wurde der Universität verwiesen und die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Strafverfahren wegen „Diskreditierung der russischen Streitkräfte“.

Das Verfahren begann im August 2024, im Dezember beauftragte das Gericht die Staatsanwaltschaft den Fall zu überprüfen. Anfang Februar 2025 wurde Kozyreva unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen: bis zu einer gerichtlichen Entscheidung darf sie weder telefonieren, noch das Internetz nutzen und mit Medien sprechen und darüber hinaus darf sie ihre Wohnung nur tagsüber verlassen.

Prediger kommentiert Ukraine-Krieg

Der christliche Prediger  wurde bereits 2023 in einem Verwaltungsstrafverfahren wegen seiner Kommentare gegen den Ukraine-Krieg in den sozialen Onlinemedien zu einer Geldstrafe verurteilt. Unter anderem hatte Eduard Charov die Frage aufgeworfen „Wäre Jesus Christus in die Ukraine gegangen, um zu töten?“. Aktuell läuft ein Strafverfahren wegen weiterer Postings gegen den Krieg. Der Vorwurf lautet auf „Diskreditierung der russischen Streitkräfte und anderer staatlicher Stellen“. Der Prediger aus dem Ural erwartet selbst, dass er zu einer Haftstrafe verurteilt wird.

Während das Verfahren läuft, darf er seinen Heimatbezirk nicht verlassen, nicht telefonieren oder das Internet nutzen. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt Charov eine Unterkunft für Obdachlose „um Christi willen“. Seit Kriegsbeginn gewährte er auch Männern, die sich der Mobilmachung durch Flucht entzogen hatten, Unterkunft. Auch deshalb übten die Behörden Druck auf die Unterkunft aus, was auch dazu führte, dass sich Ehrenamtliche, die ihn unterstützten, zurückzogen.

Priester nach Verbüßung seiner Haftstrafe frei

Ein weiterer Kritiker des Krieges aus religiösen Gründen, der orthodoxe Priester Ioann Kurmoyarov, wurde im August 2024 nach Verbüßung seiner Haftstrafe wegen „Verbreitung von Falschinformationen über die russischen Streitkräfte“ über seinen YouTube-Kanal aus dem Gefängnis in Sankt Petersburg entlassen. Bis heute sind Internetseiten durch die russischen Behörden gesperrt, auf denen der Krieg aus religiösen Gründen kritisiert wird und auch Berichte über die Auswirkungen des Krieges auf die Menschen und Gottesdienststätten in der Ukraine und Internetseiten ukrainischer religiöser Organisationen.

Repressalien gegen Zeugen Jehovas

Als erster Zeuge Jehovas wurde der 45-jährige Dmitry Terebilov aus Kostroma (Zentralrussland) ein zweites Mal wegen „Fortsetzung der Aktivitäten einer verbotenen extremistischen Organisation“ schuldig gesprochen. Im Jänner 2025 wurde er zu mehr als fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er während seines ersten Gefängnisaufenthalts die Fragen eines Mitgefangenen über seinen Glauben beantwortet hatte.

Zwischen Jänner und März 2025 haben die Ermittlungsbehörden weitere Strafverfahren gegen Zeugen Jehovas eingeleitet und Razzien in Wohnungen durchgeführt. Wie auch bisher üblich, wurden die Gläubigen wegen der Ausübung ihres Rechts auf Religions- bzw. Glaubensfreiheit nach den gesetzlichen Bestimmungen gegen Extremismus verurteilt. Im Februar 2025 wurden sieben Zeugen Jehovas in Wladiwostok der Beteiligung an einer extremistischen Organisation schuldig gesprochen: zwei Männer zu sieben bzw. sechseinhalb Jahren Haft und fünf Frauen zu bedingten Haftstrafen. Am 6. März folgte der Schuldspruch für Aleksandr Gennadyevich Tsikunov, das Urteil lautet auf 6 Jahre Haft.

Auch ältere und chronisch kranke Menschen bleiben vor Strafverfolgung nicht verschont. Die medizinische Versorgung in Gefängnissen und Arbeitslagern ist oft mangelhaft, was zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Gefangenen führt. Im März 2025 ist Valery Semyonovich Baylo, der unter chronischen Magen-Darmerkrankungen litt, in einem Krankenhaus in Novorossiysk verstorben. Zuvor war er von seiner Haftanstalt ins Krankenhaus verlegt worden. Er ist damit der erste Zeuge Jehovas, der während seiner Haftzeit verstorben ist.

Seit dem Landesweiten Verbot der Zeugen Jehovas im Jahr 2017 wurden 822 von ihnen strafrechtlich verfolgt. 180 wurden von den Gerichten erster Instanz zu Haftstrafen verurteilt, 299 zu bedingten Haftstrafen und 83 zu Geldstrafen.

Verbot von Zeugen Jehovas auch auf Krim durchgesetzt

Russland setzt das Verbot der Zeugen Jehovas von 2017 auch auf der besetzten Krim illegal durch. Im Jänner 2025 verurteilte ein von Russland kontrolliertes Gericht in der besetzten ukrainischen Stadt Sewastopol zwei Zeugen Jehovas, den 53-jährigen Sergej Schigalow und den 55-jährigen Viktor Kudinov, zu jeweils sechs Jahren Haft. Sie legten gegen das Urteil Berufung ein. „Die Verfolgung der Zeugen Jehovas nimmt Fahrt auf“, so wurde das Urteil von offizieller Seite der Zeugen Jehovas kommentiert. Im schlimmsten Falle droht eine lange Haftstrafe in Arbeitslagern.

Lage der Religionsfreiheit in den besetzten Gebieten der Ukraine

In den von Russland besetzten Teilen der Ukraine kommt es zu schweren Verletzungen nicht nur der Religions- bzw. Glaubensfreiheit, sondern auch anderer Menschenrechte. Stand März 2025 hält Russland etwa ein Fünftel des völkerrechtlich anerkannten Staatsgebiets der Ukraine besetzt. Von Forum 18 wurde u.a. dokumentiert: die systematische Verletzung der Religions- bzw. Glaubensfreiheit begann bereits mit der ersten Invasion 2014; die illegale Annexion von Gebieten und erzwungene Einführung russischen Rechts, durch das die Menschenrechte verletzt werden; Unterdrucksetzung, Entführung, Folterung, Einkerkerung und Ermordung religiöser Leiter; Auflösung von Gottesdiensten, Verbot und Auflösung von Religionsgemeinschaften; Haftstrafen für Gewissensgefangene, die ihr Recht auf Religions- bzw. Glaubensfreiheit ausgeübt haben; Verbot religiöser Texte als „extremistisch“ und „Säuberung“ von Bibliotheken; Strafverfolgung wegen Missionstätigkeit; Ausstrahlung von gegen Religionsgemeinschaften und Gläubige gerichteter Desinformation. Die wesentliche Ursache der Verletzung der Religions- bzw. Glaubensfreiheit und sonstiger Menschenrechtsverletzungen in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine ist die russische Invasion und Besetzung dieser Gebiete ab 2014. Da Russland diese Gebiete inzwischen nach nicht fair abgelaufenen und völkerrechtlich nicht anerkannten Volksabstimmungen annektiert hat und nicht beabsichtigt, sie wieder an die Ukraine zurückzugeben, ist eine Fortsetzung dieser Menschenrechtsverletzungen zu erwarten. Bereits vor der Invasion und Kriegsbeginn 2022 wurden die Halbinsel Krim und Teile der ukrainischen Region Donbass besetzt. Dort wurden die „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk errichtet. Ab diesem Zeitpunkt kam es sowohl auf der Krim als auch im Donbass zu Razzien gegen Religionsgemeinschaften, es wurden Geldstrafen verhängt, religiöse Literatur beschlagnahmt, von den Gemeinschaften eingeladene religiöse Leiter aus dem Ausland wurden ausgewiesen, Kontakte mit Glaubensgeschwistern in der Ukraine und im Ausland unterbunden, Gemeinschaften und Gottesdienststätten offiziell überwacht, Mietverträge für Immobilien wurden einseitig aufgehoben, Strom und Gasversorgung unterbunden und die Wiedererlangung von unter der sowjetischen Herrschaft beschlagnahmten Gottesdienststätten wurde behindert. Die karitative Tätigkeit nicht registrierter Gemeinschaften wurde unterbunden. Alle Religionsgemeinschaften auf der Krim mussten sich nach russischem Recht neu registrieren lassen. Von den 1.156 Gemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit nach ukrainischem Recht hatten bis zum Ablauf der Frist für die Neuregistrierung Anfang 2016 erst ca. 400 Rechtspersönlichkeit nach russischem Recht erlangt. Auch die ab 2018 erforderliche Neuregistrierung in den „Volksrepubliken“ des Donbass wurde äußerst restriktiv gehandhabt. Am 19. Oktober 2022 verhängte Russland in Teilen der besetzten und annektieren Gebiete in der Ostukraine das Kriegsrecht. Nach dem Gesetz über das Kriegsrecht von 2002 ist der Präsident der Russischen Föderation befugt, in Gebieten, in denen das Kriegsrecht in Kraft ist „die Aktivitäten politischer Parteien, öffentlicher Organisationen und Religionsgemeinschaften, die Propaganda bzw. Agitation oder sonstige subversive Aktivitäten betreiben“ abzustellen.

Keine Anerkennung von überwiegender Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten

Die Annexion der Krim und von Teilen des Donbass wird von der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen nicht anerkannt. Das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen hat die „unrechtmäßige Anwendung von Gesetzen der Russischen Föderation in den besetzten Gebieten“ (konkret auf der Krim) in seinem Bericht zur Lage der Menschenrechte in der Ukraine für den Zeitraum 1. August 2020 bis 21. Januar 2021 verurteilt. Die Verletzungen der Religionsfreiheit in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine sind nur ein Teil eines viel breiteren Spektrums von durch die russische Besatzungsmacht begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen aller Art. Dies geht aus der seit März 2014 laufend erstellten Dokumentation der Mission zur Überwachung der Menschenrechte in der Ukraine und des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte hervor.

Blick in die Vergangenheit – christliche Gläubige in der Ukraine und deren Verfolgung zu Sowjet-Zeiten

Ein Kirchenzeitungsbericht, der die Verfolgung der ukrainischen Kirche aufzeigte, führte vor 40 Jahren zu verbalen Attacken aus Moskau. Die Sowjets drohten mit Auswirkungen auf die sowjetisch-österreichischen Handelsbeziehungen. Wie Paul Stütz von der Linzer Diözesanzeitung schreibt, wurde im Jahr 1983 zwischen Linz und der südukrainischen Stadt Saporischja ihre bis heute bestehende Städtepartnerschaft besiegelt. Das nahm CiN (damals noch CSI – Christliche Solidarität International) zum Anlass, einen offenen Brief zu der Lage der ukrainischen Christen zu veröffentlichen, der auch in der Kirchenzeitung in Auszügen publiziert wurde. In dem Schreiben wurde auf konkrete Fälle der Verletzung der Religionsfreiheit verwiesen und die Anerkennung des Existenzrechts für die vier Millionen Gläubige zählende verbotene ukrainisch-katholische Kirche sowie für die ukrainisch-orthodoxe Kirche gefordert, die von völliger Russifizierung bedroht sei. Der Bericht, in dem über die Initiative von CSI in der Kirchenzeitung berichtet wurde, löste mit der Zeitverzögerung von 22 Monaten heftige Reaktionen aus Moskau aus. In der Zeitschrift „Wissenschaft und Religion“ (Auflage 345.000 Stück) wetterte Oleg Wowk, ein „Dozent für ausländische Ideologien“, gegen CSI und die Kirchenzeitung. Die Redaktion der Kirchenzeitung wurde in dem Artikel einer provokatorischen Lügenkampagne bezichtigt. Die CSI-Verantwortlichen seien „apriorische Gegner“ des Kommunismus. Dahinter stünden Kreise der ukrainischen katholischen und orthodoxen Kirche im Exil, die vom CIA finanziert seien und „einen nuklearen Holocaust“ befürworten würden. In der Moskauer Zeitschrift wurde sogar offen mit Auswirkungen auf die sowjetischen-österreichischen Handelsbeziehungen gedroht. Dankbar zeigten sich hingegen die ukrainischen Katholiken in einem Schreiben. Die Kirchenzeitung zitierte daraus: „Unsere Herzen füllen sich […] mit Tränen der Freude und mit menschlichem Glücksgefühl, wenn wir erfahren, dass es ein Volk gibt, das unsere Leiden wie die eigenen trägt.“

Der zugehörige Ausschnitt aus der CSI-Zeitschrift „Christen in Not“ zu den ukrainischen Gläubigen der Sowjetunion (Bild: Archiv CiN-aktiv)

(ai/Forum 18/akref/ Kirchenzeitung Diözese Linz/CiN)
09.05.2025