Türkei: zunehmende Behörden-Willkür gegenüber protestantischen Christen
Immer öfter erhalten protestantische Christinnen und Christen aus dem Ausland die Auskunft, dass bei ihnen der sogenannte Code N-82 vorliegt. Dieser wird in Zusammenarbeit zwischen dem türkischen Innenministerium und dessen Geheimdienst vergeben und ist mit erheblichen Einschränkungen verbunden.
Die Betroffenen erfahren in der Regel bei der Ausreise bzw. beim Versuch der Einreise in die Türkei von ihrem N-82-Status. Dieser ist u.a. mit der Auflage verbunden, dass vor Einreise eine Erlaubnis eingeholt werden muss, diese wird in der Praxis aber kaum erteilt und entspricht somit einem de-facto Einreiseverbot. Der deutsche Staatsbürger Hans Jürgen Louven erfuhr etwa vom Einreiseverbot als auf seinem Flugticket plötzlich der N-82-Code vermerkt wurde.
In anderen Fällen entdecken Betroffene ihren Status, wenn sie versuchen, ihren Aufenthalt zu verlängern. Obwohl das in der Vergangenheit kein Problem darstellte, wird der Antrag nunmehr abgelehnt und die Antragsteller haben 10 Tage Zeit das Land zu verlassen. Den N-82-Status dann aus dem Ausland bei türkischen Gerichten anzufechten ist mit einem enormen Aufwand verbunden, besonders finanziell. Jedenfalls basiert der N-82-Status auf geheimdienstlichen Hinweisen, im zugehörigen Akt wird die jeweilige Person beschuldigt die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Die Gerichtsverfahren verlaufen meist nicht ordnungsgemäß, da den Anwälten der beschuldigten Personen keine Akteneinsicht gewährt wird und diese somit ihre Mandanten nicht entsprechend verteidigen können.
Seit Anfang 2019 haben bereits 63 protestantische Christen den N-82-Status erhalten. Rechnet man die Familienmitglieder der Betroffenen mit ein, mussten über 150 Menschen die Türkei deshalb bereits verlassen. Dies stellt nicht nur Familien vor Probleme, sondern auch die protestantischen Kirchengemeinden in der Türkei, da diese besonders auf ausländische Glaubensgeschwister und deren finanzielles und soziales Engagement angewiesen sind. In weiterer Konsequenz sind auch türkische Konvertiten betroffen, da ihnen ein Teil ihres sozialen Umfelds wegbricht, das durch ihre Konversion und der damit verbundenen Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft, meist auf die Kirchengemeinde beschränkt ist.
Mit Blick auf die Vergangenheit der Türkei ist dieses Vorgehen gegenüber Christinnen und Christen besorgniserregend und verstößt auch deutlich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Die Problematik wird auch im Fall der Familie Subasigüller deutlich: Joy lernte ihren Mann Lütfü an der Universität Ankara kennen. Sie haben 2013 geheiratet und mittlerweile 3 Kinder. Joy lebt schon seit 10 Jahren in der Türkei und hat problemlos alle zwei Jahre ihren Aufenthalt verlängern lassen. Nun aber musste sie im zweiten Halbjahr 2020 plötzlich das Land verlassen. Der N-82-Status von Joy zwingt auch ihren Mann und die Kinder, die allesamt die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, das Land zu verlassen. „Die Türkei ist meine Heimat, ich liebe dieses Land und sein Volk sehr. Unsere türkischen Freunde und vor allem die Familie meines Mannes wäre am Boden zerstört, müssten wir langfristig das Land verlassen.“, so Joy. Ihr Mann Lütfü, der auch Pastor der örtlichen Gemeinde ist, weiter: „Wir haben auch beim Büro des Präsidenten und des Außenministers berufen. Keine Reaktion.“
Quelle: middle east concern