Beirut – Die Christen im Libanon sind entsetzt über Selbstmordattentate von mutmaßlichen IS-Terroristen in dem christlichen Dorf Qaa, das im Nordosten des Landes unmittelbar an der Grenze zu Syrien liegt. Vier Selbstmordattentate, die in den frühen Morgenstunden des 27. Juni das mehrheitlich von griechisch-katholischen (melkitischen) Christen bewohnte libanesische Dorf Qaa heimsuchten, forderten neun Todesopfer, mindestens 20 Menschen wurden verletzt. Zwei weitere Attentäter, die auf einem Motorrad durch das Dorf brausten, zündeten am selben Abend Sprengsätze in der Nähe von trauernden Angehörigen, die sich vor einer Kirche versammelt hatten. 13 Personen wurden dabei verletzt. Libanesische Politiker unterschiedlicher Couleurs ebenso wie ranghohe Kirchenvertreter verurteilten die Anschläge.
Der aus dem Dorf Qaa stammende melkitische Erzbischof Elias Rahal von Baalbek bat den libanesischen Staat „die eigene Verantwortung zu übernehmen“ und erinnerte daran, dass in der Umgebung des Dorfes auch rund 30.000 syrische Flüchtlinge leben, für die sich keiner verantwortlich fühle. Der melkitische Patriarch von Antiochien, Gregorios III. (Laham), erklärte, er sei „erschüttert“ über die Anschläge in Qaa, er gedenke im Gebet der Opfer. Die tödlichen Anschläge seien ein „feiger terroristischer Akt“, der Libanon müsse die Schutzmaßnahmen gegen den Terror verstärken.
Patriarch Bechara Rai: „Qaa war immer ein Ort der friedlichen Koexistenz“
Der maronitische Patriarch, Kardinal Boutros Bechara Rai, der sich zu dem Zeitpunkt in den Vereinigten Staaten aufhielt, rief den Libanon zu nationaler Einheit und Solidarität auf. Er hofft, dass dieses „unsägliche Verbrechen“ das Land dazu dränge, sich um die nationale Einheit und den Schutz vor Terroristen zu bemühen. Die Politiker des Landes sollten „ihre nationale Verantwortung schultern, um den Libanon vor weiteren Tragödien zu bewahren“, so der Kardinal. Qaa sei „ein Ort des Friedens, der Liebe und der Koexistenz“, dessen Söhne das Leben zahlreicher schuldloser Menschen gerettet hätten, so der Patriarch, der zugleich den libanesischen Sicherheitskräften höchste Anerkennung zollte.
In Beirut ist die Nervosität besonders groß, weil es sich um das erste Mal handelt, dass der sog. „IS“ ein christliches Dorf im Libanon angreift. Seine bisherigen Attacken galten Stellungen des libanesischen Militärs oder der Hizbollah.
Libanesischer Minister: „Eine Saison in der Hölle“
Die Bewohner von Qaa sind verzweifelt. Der erste Selbstmordattentäter hatte sich in die Luft gesprengt, als ein Bewohner des Dorfes ihn am frühen Morgen nach dem Wohin gefragt hatte. Als weitere Dorfbewohner zusammenströmten, zündete die Attentäter, einer nach dem anderen, ihre Sprengstoffgürtel. Der Bürgermeister von Qaa sagte im Gespräch mit lokalen Medien, er habe den Ortsbewohnern geraten, zu Hause zu bleiben und auf Verdächtige sofort zu schießen. Der libanesische Gesundheitsminister Wael Abo Faour betonte vor Journalisten, es habe sich „eine Saison in der Hölle“ eröffnet.
Der Pfarrer von Qaa, P. Elian Nasrallah, teilte der Beiruter Zeitung „L’Orient – Le Jour“ mit, er sei eigentlich nicht überrascht von den Attacken, schon seit einiger Zeit würden sich Terroristen in der Umgebung herumtreiben. Nach seiner Ansicht gehe es den Dschihadisten darum, die Bewohner zu vertreiben, um die Kontrolle über ein Gebiet zu übernehmen, das „bisher ein Beispiel des friedlichen Zusammenlebens von Christen und Muslimen war“.
“Wir werden in diesem Gebiet bleiben, trotz 100 Martyrien am Tag…“
Inzwischen wurden in Qaa die christlichen Opfer der konzertierten islamistischen Selbstmordattentate unter großer Anteilnahme beigesetzt. Erzbischof Elias Rahal betonte während der Trauermesse, dass die Christen trotz der fortwährenden Attentate weiterhin in der Region präsent sein würden. „Wir werden in diesem Gebiet bleiben und uns nicht von hier fortbewegen, auch wenn wir 100 Martyrien am Tag erleiden sollten“, so der Erzbischof. Er forderte bei seiner Predigt militärische Bewachung für ein am Dorfrand liegendes Flüchtlingscamp, das zehntausende Syrer beherbergt, um eine „Wiederholung ähnlicher Tragödien“ zu verhindern.